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Würzner, Julia

Erfahrungsberichte > Archiv
Huancarani, 02.03.-15.05.2015
 
Im Sommer des letzten Jahres fragte mich die Zahnärztin, deren Schwangerschaftsvertretung ich übernommen hatte, was ich eigentlich ab März vorhätte, wenn sie wieder voll in die Praxis einsteigt. Um ehrlich zu sein, hatte ich das ganze etwas verdrängt und den Absatz meines Vertrages zum Thema befristete Beschäftigungszeit großzügig überlesen. Aber sie hatte Recht, ich musste mir etwas überlegen. Eigentlich wollte ich schon während des Studiums an einem Auslandseinsatz teilnehmen, hatte mich aber zu spät gekümmert und sah jetzt die Möglichkeit es umzusetzen.
 
Da mein kleiner Bruder sich zu der Zeit auf sein FSJ in Bolivien vorbereitete, suchte ich speziell nach Projekten in Bolivien und bin auf der Website des FCSM schnell fündig geworden. Nach kurzem und sehr nettem Kontakt mit Ekkehard stand fest, dass ich von März bis Mai das Projekt in Huancarani unterstützen wollte.
 
Zur Vorbereitung hatte ich den einen oder anderen Erfahrungsbericht gelesen, diese empfand ich als hilfreich. Das Einzige, was sich aber sehr stark in meinem Gedächtnis festgesetzt hatte, war die Ankündigung der gefährlichen Straßenhunde, denen man mit Pfefferspray zu Leibe rücken sollte. Kurz davor Ekkehard aus diesem Grund wieder abzusagen, entschied ich mich, dass ich meine leichte Hundeangst einfach in den Griff bekommen muss. Und was soll ich sagen, diese gemeingefährlichen Straßenhunde sind friedlicher als jeder angeleinte Hund, der mir hier in Deutschland über den Weg läuft. Wenn es dunkel ist, bellen sie einen vielleicht an, aber mit ein paar lauten Worten kann man sie gut in Schach halten.
 
Gefährlicher sind da die Hunde von Ronald (unserem Betreuer vor Ort). Solltet ihr sein Grundstück aufsuchen müssen, empfehle ich vorher anzurufen, da seine Hunde mich gebissen haben, als ich unangekündigt vorbeigegangen bin.
 
Nach Bolivien bin ich mit Air Europa geflogen mit Zwischenstopp in Madrid und Santa Cruz, wo ich zunächst einige Tage akklimatisierte, bevor ich nach Cochabamba geflogen bin. Trotz deutlicher Verspätung wurde ich von Ronald und seiner Frau freundlich in Empfang genommen und zum Projekt gefahren. Dort erwartete mich Vera, die bereits seit vier Wochen vor Ort war.
 
Die Unterkunft ist (wie bereits häufig erwähnt) sehr gut ausgestattet und in meinen Augen wirklich luxuriös für bolivianische Verhältnisse. Ich war vom Komfort sehr überrascht! Da Vera schon so lange vor Ort war konnte sie mich gut mit allen  Gerätschaften/ Menschen/ Gepflogenheiten vertraut machen.
 
Genau  wie sie nahm ich die Möglichkeit an, mittags von Doña Adela bekocht zu werden. Abends haben wir uns in der Regel selber versorgt, aber auch diese Mahlzeit kann bei Doña Adela eingenommen werden.
 
Die Praxis ist sehr gut ausgestattet, ich habe während meines zehnwöchigen Aufenthaltes vor Ort eigentlich nichts vermisst. In meinen ersten Wochen war auch Ekkehard mit in Huancarani, wir hatten zu dieser Zeit ein sehr großes Patientenaufkommen und den Tag durch gut zu tun. Wir haben vor allem Füllungen gelegt, einfache Wurzelkanalbehandlungen, Extraktionen, Mundhygieneaufklärungen und Zahnreinigung durchgeführt.
 
Die bolivianischen Eltern haben leider noch kein Bewusstsein dafür, dass bereits Milchzähne geputzt werden müssen, sodass wir viele kleine Patienten hatten, deren Milchzähne vollständig zerstört waren. Häufig kommen Patienten mit der ganzen Familie, so konnten wir kleine Gruppenaufklärungen durchführen und alle mit Zahnbürsten und Zahnpaste versorgen. Ich hatte Ronald gebeten, einen Kontakt für uns mit der Schule des Dorfes herzustellen, damit regelmäßig Putzübungen und Mundhygieneaufklärung dort durchgeführt werden können. In meiner Zeit vor Ort ist das leider nicht mehr zustande gekommen, aber ich habe gehört, meine Nachfolger waren in der Schule tätig. Dies sollte meines Erachtens beibehalten werden.
 
 
Leider musste ich, nachdem Ekkehard nicht mehr vor Ort war, feststellen, dass ein deutlicher Patientenrückgang zu verzeichnen war. Dies war zum Teil sehr frustrierend, da  ich natürlich in erster Linie nach Bolivien geflogen bin, um den Menschen vor Ort zu helfen. Mit Veras Nachfolgerin Elisabeth zusammen haben wir dann Flyer vervielfältigt und in den nahegelegenen Tiendas und Internetcafes ausgeteilt, damit hatten wir vorübergehend etwas mehr zu tun, aber auch dieser Schwung schwächte wieder ab. Oft wurde ich von Bolivianern auf der Dorfstraße angesprochen, ob das Consultorio überhaupt geöffnet hätte. Sie sind  vielleicht nicht gekommen, weil sie gar nicht wussten, dass das Consultorio fast permanent besetzt ist. Meiner Meinung nach sollten die Werbung vor Ort verstärkt werden. Es gibt ausreichend Behandungspotential und es ist nicht Sinn des Projektes, dass zwei ausgebildete Zahnärzte sich über einen Patienten am Tag freuen. Eventuell kann man die Patientenbindung auch über eine permanente Zahnarzthelferin aus der Bevölkerung motivieren, da  dann jemand aus den eigenen Reihen mitarbeitet, der täglich durch das Dorf läuft und kund tun kann, dass Zahnärzte vor Ort sind.
 
Ältere Patienten kamen oft, weil sie prothetisch versorgt werden wollten. Leider war zu meiner Zeit kein Zahntechniker vor Ort,  sodass es in Zukunft sicherlich erstrebenswert wäre, immer ein Team aus Zahnarzt und Zahntechniker nach Huancarani zu schicken, mit der Unterstützung einer dauerhaften Helferin vor Ort oder eines Zahnmedizinstudenten / Assistenzzahnarztes.
 
An den Wochenenden gibt es zahlreiche Ausflugsmöglichkeiten im Umland von Huancarani, wir waren im Freibad von Sipe-Sipe, haben den Sonntagsmarkt in Quillacollo besucht, den Cerro Tunari bestiegen, den Nebelwald Incachaca besichtigt und vieles mehr. An meinen zehn Wochenenden war ich immer ausreichend beschäftigt und entgegen der Meinung meines Nachbarn im Flugzeug auf dem Weg nach Bolivien finde  ich, dass die Bolivianer ein ausgesprochen nettes und aufgeschlossenes Völkchen sind.

Julia Würzner 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Im Großen und Ganzen ist die Zeit in Bolivien eine wertvolle Erfahrung für mich gewesen. Zahnmedizin wird hier auf die reine Patientenhilfe reduziert, endlich muss man nicht darüber nachdenken, ob die Behandlung wirtschaftlich ist, sondern nur, ob sie dem Patienten hilft. Auch den Austausch mit Kollegen (ob mit mehr oder weniger Berufserfahrung) habe ich als sehr wertvoll empfunden. Eine Rückkehr ist bei mir im Hinterkopf fest verankert!
 
Julia Würzner.
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