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Jolie, Dietmar

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Huancarani 11.09.17 – 29.09.17
Wir wollen nicht zu den Menschen gehören, die gar nichts tun, nur weil es andere auch nicht machen.“
Fasziniert von verschiedenen Projekten, die ich in den letzten 10 Jahren weltweit zusammen mit meiner Frau betreut habe und getreu des obigen Spruches, machte ich mich dieses Jahr wieder auf den Weg. Mir geht es da bestimmt wie vielen anderen auch, einmal vom“ Einsatzvirus“ infiziert, will man es immer wieder tun.
Ich selbst bin niedergelassener Zahnarzt in Sachsen. Deshalb will ein Einsatz langfristig gut geplant sein. Da wir in meiner Praxis zwei  Zahnärzte sind, kann ich mir schon mal drei Wochen Abwesenheit leisten. Für mich ist es immer wieder der Blick über den Tellerrand des deutschen Wohlstandes auf andere Menschen in der Welt, die einen weitaus schlechteren Lebensstandard als wir haben. Trotzdem erscheinen sie mir oft zufriedener als manche Menschen hier bei uns.
Genau vor 10 Jahren hatte ich einen Einsatz in Ecuador. Da mich Südamerika fasziniert, zog es mich diesmal nach Bolivien.
Für die Anreise sollte man sich viel Zeit einplanen. Die Flüge von Frankfurt über Madrid und Santa Cruz nach Cochabamba kann man in ca. 2 Tagen absolvieren. Die Abholung in Cochabamba ist in jedem Fall bestens organisiert. Gut ist es, wenn man einen Tag vor Einsatzbeginn ankommt, um sich ein wenig zu akklimatisieren. In Bolivien wurde es gerade Frühling, für mich bestes europäisches Sommerwetter. Als Freiwilliger gehe ich bei solchen Einsätzen von sehr einfachen Verhältnissen aus. Umso mehr war ich erstaunt, als wir durch das kleine Dorf fuhren und dann vor dem Objekt standen. Ein freundliches und modernes festes Haus erwartete mich. Wir hatten als Voluntarios eine schöne WG mit eigenen Schlafräumen, Küche, Aufenthaltsraum sowie Dusche und WC. Dort ließ es sich aushalten. Ich fühlte mich herzlich willkommen von den schon anwesenden Voluntarios Giulia, Jana und Carolin. Im gleichen Objekt befindet sich noch die Pirwa, ein öffentlicher Kindergarten. Am Nachmittag werden dort mit viel Engagement Kinder betreut, ähnlich des Hortes in Deutschland. Zu den Mitbewohnern gehörten auch noch vier Hunde. Für unser leibliches Wohl sorgte Doña Adela, die uns mittags und abends ein schmackhaftes Essen zubereitete. Morgens bin ich oft mit Rocky, dem Haushund und Giulia zu Doña Petri, die einen kleiner Krämerladen betreibt, spaziert. Dort gab es frische Brötchen, Eier… alles was man so braucht. Danach hatten wir gemeinsam mit allen Voluntarios ein schönes Frühstück.
 
Am Montag ging es dann 14 Uhr mit der Sprechstunde los. Mich erwartete eine freundliche, wohl sortierte Praxis auf deutschem Niveau. Zur Seite stand mir Carolin, die schon seit April des Jahres vor Ort war und sich als Zahnarzthelferin bereits gut eingearbeitet hatte. Wir einigten uns darauf, alles gemeinsam zu erledigen. Dazu gehörte also auch die Vor - und Nachbereitung der Sprechstunde. Wir hatten gemeinsam eine gute Zeit und haben täglich 15 – 20 Patienten behandelt. Die Patienten erschienen sehr sporadisch, ein Bestellsystem war nicht umsetzbar. Es kamen Patienten aller Altersgruppen, ein Großteil waren auch Kinder. Die Gebisse waren in der Regel sehr ungepflegt und desolat, Gingivitis und Periodontitis hatte fast jeder. Die Menschen hatten oft unreale Vorstellungen zur Zahnerhaltung, Aufklärungsarbeit war nötig. Leider gab es viele extraktionswürdige Zähne, auch viele bleibende Zähne konnten bei Kindern nicht erhalten werden. Gravierend waren oft die Zahnfehlstellungen bei Kindern.  Füllungstherapie und Extraktionen hielten sich die Waage. Wo es sich angeboten hatte, haben wir auch Hygiene- und Ernährungsberatung  eingebaut. Die Kinder sieht man regelmäßig mit Süßigkeiten und süßen Getränken. Auf dem Schulweg kaufen sie sich noch einzelne Bonbons. Zu uns kamen auch Patienten, die vorher bei einheimischen Zahnärzten versorgt wurden, oft sehr insuffizient. Die Anfragen nach festsitzendem Zahnersatz häuften sich, auch junge Menschen erkundigten sich nach Orthodontie. Dann spielten noch die Preise eine Rolle, die bei uns deutlich niedriger waren, als in der Stadt. Kinder bis zu 12 Jahren wurden kostenlos behandelt. Die Nachfrage nach Placas war sehr hoch, man musste allerdings immer darauf hinweisen, dass es sich um eine Basisversorgung handelt.                                                                                                                   
Hin und wieder hatten wir auch Patienten, die nach einer Zahnreinigung fragten. Ich erinnere mich an einen Fall, wo wir mit Ultraschall erst einmal die Zähne wieder freigelegt haben. Es gab aber auch vereinzelt Leute, die kamen zur „01“ hatten keine Probleme und wollten einfach nur eine Kontrolle. Eben diese Patienten hatten sehr gepflegte Zähne.
Folgendes zur Therapie selbst:
Die Zahnextraktionen waren in den meisten Fällen komplikationslos, oft habe ich eine Naht gelegt, obwohl die Patienten zur Nahtentfernung nicht erschienen sind. Priorität hatte Schmerzbehandlung. Konservierende Behandlungen schlossen sich an, beginnend im Seitenzahngebiet.
Ich habe immer versucht, den deutschen Standards nahe zu kommen, oft musste man allerdings  improvisieren (Trockenlegung, Blutung, Gingivitis, Plaque, Absaugung…). Bei Kindern habe ich die Milchzähne in vielen Fällen nur trepaniert oder mit IRM versorgt, um sie noch hinzuhalten. Im Seitzahngebiet verwendete ich meistens Amalgam, was technisch nicht so anfällig ist wie Kunststoffe.
Aus meiner Erfahrung ist es besser, im Seitenzahngebiet eine sichere silberfarbene Füllung zu legen, als eine weiße insuffiziente Composite – Füllung. Aber das muss jeder für sich entscheiden. Eine Endo habe ich begonnen, aber die Patienten kommen eben nicht wieder, wenn sie schmerzfrei sind.
Die drei Wochen sind sehr schnell vergangen.  Ich hatte noch Gelegenheit, meine Nachfolgerinnen Pamela und Judith einzuarbeiten.
Auch für kleine touristische Erkundungen war Zeit. Inlandflüge sind sehr günstig vor Ort zu buchen. Das Land ist aber auch mit Busverbindungen und Trufis (Minibusse) sehr gut erschlossen. So war ich am Wochenende schnell in La Paz und bin dort die Yungas-Road mit dem Fahrrad gefahren. Bolivien ist ein schönes und sehr interessantes Land. Ich bin mir sicher, dass ich einmal wieder komme, um noch mehr davon kennenzulernen.
Nun hat mich der Alltag wieder. Ich bin mit einer guten Erfahrung zurückgekehrt. Es ist einfach ein schönes Gefühl, diesen Einsatz gemeistert zu haben und dass ich anderen Menschen meine Hilfe geben durfte.
Dietmar Jolie
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