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Imwinkelried, Selina

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Huancarani, 08.Januar - 01. März 2024
 
Nach über drei Monaten Reise von Ecuador bis nach Bolivien bin ich am 6. Januar um 05:00 Uhr früh am Busbahnhof von Cochabamba angekommen, wo ich von Henry bereits warm empfangen wurde. Nach einem klassischen bolivianischen Frühstück, bestehend aus einem «Api» (Heissgetränk aus Mais) und einer «Pastel de Queso» (unbedingt probieren!) gings dann weiter zum Flughafen, wo wir Jürgen, einen erfahrenen und frisch in Rente gegangen Zahnarzt abholten. Dorit, eine Zahntechnikerin und Sarah, eine (wie ich) frisch approbierte Zahnärztin komplettierten unser Team für die nächsten vier Wochen. Später übernahm Kira, eine ebenfalls sehr erfahrene Zahnärztin, die Stelle von Jürgen und in meiner letzten Woche durfte ich zusammen mit Herbert, Paul, Jonathan und Laura die Praxis schmeissen.
Während Sarah und ich in den ersten sechs Wochen meist zusammenarbeiteten, wurde Jürgen von Henry tatkräftig unterstützt. Dieser kümmerte sich neben der Assistenz auch um die Anamnesen (sehr praktisch, wenn das eigene Spanisch noch nicht das gelbe vom Ei ist :)), den Steri, die Administration und alle technischen Probleme, die immer mal wieder auftraten. Henry ist die «gute Fee» im «Consultorio» und nicht wegzudenken! Kein Wunder also, dass man es gleich zu spüren bekommt, wenn Henry mal jemanden zum Flughafen fährt und nicht da ist, wenn ein Winkelstück oder die Absauge gerade nicht funktioniert.
Neben vielen Extraktionen, Füllungen und der einen oder anderen Wurzelkanalbehandlung war es uns durch Dorit auch möglich, Drahtklammer- und Totalprothesen einzugliedern. Der Weg dorthin war allerdings nicht immer ganz einfach. Besonders wenn es um Funktionsabformungen bei Patient*innen, die nur Quechua sprechen ging. Dass wir die Patient*innen dann mit Händen und Füssen wie Bugs Bunny als Dirigent dazu brachten, ein «Ahhhh» zu «singen», hat die Herren im Nachbarzimmer jeweils sehr amüsiert. Die eingegliederten Arbeiten können sich aber sehen lassen! So hat Dorit Patient*innen, welche bis zu 10 Stunden Anfahrtsweg hatten, wunderschöne «Placas» gezaubert. Dies hat sich dann auch schnell herumgesprochen. So schnell, dass es bald dazu kam, dass am Vorabend um neun Uhr, als wir beim Abendessen sassen, bereits die ersten Patient*innen ihr Zelt vor dem Tor des «Consultorio» aufgeschlagen haben. Mit drei- und fünfjährigen Kindern wurde selbst bei Regen draussen gecampt, was mir fast das Herz gebrochen hat. Die Dankbarkeit wiederum, welche uns von den Patient*innen, die Sarah und mich liebevoll «Doctoritas» nannten, entgegengebracht wurde, hat mich extrem berührt.
Ich konnte während meiner Zeit in Huancarani nicht nur meine zahnmedizinischen Fertigkeiten ausbauen und ein wenig Routine erlangen, sondern mich auch persönlich weiterentwickeln und eine andere Lebenswelt kennenlernen, zu der man als Tourist*in so wohl keinen Zugang hätte. Dies ist auch Henry zu verdanken, den wir am Wochenende zusammen mit seinen Freunden zur wildesten Tauffeier, die wir je erlebt haben, in die Karaokebar in Quillacollo oder an den grössten bolivianischen Karneval in Oruro begleiten durften. Zusammen mit seiner Mutter Doña Adela und deren Mann Don Felipe wurde dann auch der einen oder anderen «Cumpleaños» gefeiert, welcher jeweils mit lachenden Gesichtern in Sahnetorten und Eiern auf den Köpfen der Geburtstagskinder geendet hat.
Doña Adela weiss aber nicht nur, wie man ordentlich Geburtstag feiert. Die herzensgute Frau versteht es auch, leckeres bolivianisches Essen zuzubereiten. So hat sie uns mittags meist mit einer Suppe und abends mit einem Gericht, welches immer auch frisches Gemüse beinhaltete, verköstigt.
Nach monatelangem Reisen habe ich es sehr genossen, mich in Huancarani wieder einmal zu Hause zu fühlen und die Abende gemütlich mit lustigen Kniffelrunden, einem Film und Popcorn oder frisch gebackenem Bananenbrot und einem Glas Wein ausklingen zu lassen. Die Wochenenden aber waren dazu da, Bolivien näher kennenzulernen. So wurden Ausflüge nach Sucre oder in den Toro Toro Nationalpark unternommen und die Umgebung um Cochabamba näher erkundet.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei all den wundervollen Menschen bedanken, denen ich an diesem kleinen Fleck Erde, welcher einen besonderen Platz in meinem Herzen gefunden hat, begegnet bin und meine Zeit in Huancarani so unvergesslich gemacht haben. Ein besonders grosses Dankeschön gilt natürlich auch Ekkehard, den ich während meiner ersten zwei Wochen persönlich kennenlernen durfte. Ihn, der dieses Projekt mit so viel Herzblut und Leidenschaft aufgebaut hat und leitet, wie ich dies selten in einem Menschen gesehen habe.
Ich habe Huancarani mit Tränen in den Augen und einem Lächeln auf den Lippen verlassen. Und vielleicht sieht man sich ja bald wieder, was auch immer die Zukunft bringen mag.
“¡muchas gracias y hasta pronto!”
Selina Imwinkelried
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