Li Haoran 2023
Erfahrungsberichte > Archiv
Huacarani, 15.05. - 02.06.2023 „Ein bereichernder Einsatz“
Vorbereitung
Nach meiner überaus positiven Erfahrung bei Bolivia Movil im Jahr 2017 war ein zweiter Einsatz für den FCSM keine Frage des Ob, sondern des Wann.
Die Korrespondenz mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des FCSM Ekkehard verlief wie gewohnt unkompliziert. Er antwortete sehr schnell auf alle meiner Anfragen und hatte stets alle Termine im Blick. Gegen Ende 2022 unterschrieb ich meine Volontariats-Vereinbarung für den bevorstehenden Einsatz im Mai/Juni 2023.
Nun rückte meine Reise immer näher. Während man sich in Deutschland im Mai über mehr Sonnenstunden und Sommergefühle freut, beginnt in der Südhalbkugel nun die Winterzeit. Diese Kälteperiode in Bolivien ist anders zu verstehen als in Deutschland. Während es tagsüber in der Sonne glühend heiß ist, ist es in der Nacht oder zum frühen Morgen sehr kühl. Daher sollte Thermounterwäsche im Gepäck nicht fehlen. Ekkehard hatte aus jahrelanger Erfahrung eine hervorragende Packliste zusammengestellt, die für mich eine große Hilfe darstellte.
Anreise
Meine Flugtickets habe ich über Hajo Siewer gebucht, ein Reisebüro, das sich speziell auf Südamerikareisen spezialisiert hat. Geflogen bin ich mit Air Europa von Frankfurt über Madrid nach Santa Cruz. Bedingt durch die COVID-Pandemie musste man bei der Migración noch Impfzertifikate vorzeigen. Von dort checkte ich mein Gepäck erneut ein für den Inlandsflug nach Cochabamba mit BOA.
Angekommen in CBB erwartete mich bereits unser Freund und Helfer Henry, der Sohn von Doña Adela. Er zog mich direkt durch seine ruhige und freundliche Art in seinen Bann. Er fuhr mich direkt ins Consultorio, in das „Headquarter“ des Huacarani-Projekts. Dort traf ich endlich auf Doña Adela, die ich vor 6 Jahren kennenlernte.
Vor Ort empfingen mich die anderen Volontarios: Anna, Monika, Frank und Thomas. Ein buntes Team aus Zahntechnikmeistern und Zahnärzten aus Deutschland und Österreich. Wir verstanden uns ab der ersten Sekunde und verbrachten viel Zeit zusammen abseits der Arbeit.
Arbeiten
Anna, die frischgebackene „Doctorita“ (so wird sie von den Einheimischen genannt) aus Wien, führte mich zunächst durch die liebevoll eingerichtete Praxis ein. In zwei vollausgestatteten Behandlungszimmer können wir Füllungstherapie, maschinelle Wurzelkanalbehandlung, Zahnreinigung, Extraktionstherapie bis zur Prothetik alles anbieten, was man aus Deutschland gewohnt ist. Selbst Röntgen für Einzelzahnaufnahmen steht uns für die Diagnostik zur Verfügung. Ein großes Highlight des Projektes ist das zahntechnische Labor, wo wir Totalprothesen und Kunststoffklammerprothesen anfertigen können. Dadurch hebt sich Huacarani qualitativ deutlich von anderen Hilfsorganisationen ab.
Da ich bereits im Jahr 2017 für Bolivia Mobil unterwegs war, bin ich sehr von der Therapievielfalt und der Ausstattung in Huacarani beeindruckt, dank des unermüdlichen Engagements von Ekkehard. Damals war ich noch Student im 8. Semester und arbeitete stets mit einem erfahrenen Zahnarzt zusammen. In dieser Konstellation konnte ich sehr viel lernen, da ich unter Aufsicht selbstständig Zähne gefüllt und extrahiert habe. In gleicher Weise versuchte ich dieses Mal mein erlerntes Wissen an meine jüngere Kollegin Anna weiterzugeben.
Ab der zweiten Woche bereicherte und unterstützte uns Holger (Vorsitzender des FCSM) mit seinem reichen Erfahrungsschatz aus Ecuador und aus seiner ehemaligen Praxis in Süddeutschland. In diesem Dreigespann haben wir in 3 Wochen stolze 128 Füllungen, 110 Extraktionen, 20 Wurzelkanalbehandlungen und 16 Zahnreinigungen durchgeführt und 38 Prothesen fertiggestellt. Täglich konsultierten uns 15 bis 32 Patienten. Von stark kariös zerstörtem Milchgebiss bis zum stark atrophierten zahnlosen Kiefer haben wir alles behandelt. Die Patienten warteten geduldig und diszipliniert schon Stunden vor der Praxisöffnung vorm Haupttor und waren sehr dankbar für die kostengünstige Behandlung, die sie von uns erhielten.
Besonders beeindruckt hat uns ein älterer Patient, der sich mit einem extremen Abrasionsgebiss vorstellte. Dabei sind seine Scheidezähne fast komplett auf Zahnfleischniveau abradiert. Er wünschte sich zunächst nur eine Prothese für den Oberkiefer. Nach Modellanalyse und intensiver Planung mit unserer Zahntechnikmeisterin Monika empfahlen wir dem Patienten eine umfassende Full-Mouth-Rehabilitation von Ober-/ und Unterkiefer mittels Kunststoffprothesen, die auf die vorhandenen Stümpfe aufgesteckt wurden. Somit konnten wir den Biss anheben und der Patient konnte die Prothesen gleichzeitig als definitiven Zahnersatz nutzen. In Deutschland würde man solche Prothesen als Reiseprothesen bezeichnen. Der Patient strahlte uns bei der Eingliederung an und konnte seine Freude vor uns nicht verbergen. Nach einer Eingewöhnungszeit hat er sich an die neuen Prothesen gewöhnt und ist überglücklich, dass er endlich kraftvoll in „Carne“ reinbeißen kann.
In der Mittagspause und nach dem Feierabend wurden wir von Doña Adela reichhaltig bekocht. Die Gerichte waren nicht nur extrem köstlich, sondern auch sehr ausgewogen mit viel Gemüse und Getreide. Dabei nahm sie auf individuelle Essensgewohnheiten immer Rücksicht. Uns schmeckte das Essen immer so gut, dass wir uns oft Nachschlag nahmen und den Kochtopf leer gemacht haben.
Freizeit
Da im Winter die Sonne bereits gegen 18:30 Uhr unterging, verbrachten wir die Feierabende in unserer Unterkunft mit Rotwein und Gesellschaftsspielen. Wir nutzten dafür intensiv die Wochenenden, um uns von der herausfordernden Woche zu erholen.
Ein wahrer Geheimtipp sind die Cascadas de Apote. Dieser Wanderweg ist ca. eine Stunde von Huacarani entfernt. Am Ende des 4 Kilometer langen Wanderwegs wurden wir vom Anblick des wunderschönen Wasserfalls belohnt. Gute Wanderschuhe waren zwingend erforderlich, trotzdem war der Wanderweg an einigen Stellen anspruchsvoll, sodass wir zwischendurch auch nass wurden.
Wer noch nach mehr Abenteuer sucht, wird im Tunari-Gebirge definitiv fündig. Henry fuhr uns freundlicherweise in seiner Freizeit auf ca. 4.500m ü. M. zum Fuße des Gipfels, von dort aus bestiegen wir den 5.023m hohen Cerro Tunari zu Fuß. Eine Höhendifferenz von 500m klingt erstmal nicht viel. Allerdings war die Luft in der Höhenlage so dünn, dass ich Probleme mit der Atmung hatte. Hinzu kam, dass ich eine Woche nach meiner Ankunft noch nicht ausreichend akklimatisiert war. Obwohl die Wanderung die anstrengendste Bergtour meines Lebens war, würde ich es wegen der wunderschönen Aussicht immer wieder machen!
Rund um La Paz kann man viele Ausflüge für ein Wochenende unternehmen. Darunter gehört z.B. die berüchtigte „Death Road“, oder der Madidi Nationalpark. Wer besonders gute Kondition hat, kann den vergletscherten Huayna Potosi mit 6.088m in einer mehrtägigen Tour besteigen. Ich entschied mich nach dem Tunari-Wochenende für eine entspanntere Tour zum Titicacasee und buchte eine Übernachtung auf der Isla del Sol. Die für Inkas und Tiwanaku heilige 14,3 km² große Insel ist ein wahrer Touristenmagnet. Insbesondere kann man den malerischen Sonnenauf- und -untergang über dem See aus den meisten Hostels direkt beobachten. Im Hintergrund stieg das Bergmassiv um Huayna Potosi empor, dessen Gipfel mit Schnee und Eis bedeckt war. Allerdings unterschätzte ich aber die umständliche und zeitaufwendige Anreise. Um auf die besagte Insel zu kommen, muss man von Cochabamba aus ca. 14h Anreisezeit einplanen. Am besten fährt man am Freitagabend mit einem Semi-Cama Nachtbus von CB nach LP, von dort aus nimmt man am frühen Morgen einen Bus nach Copacabana. Diese Fahrt dauert nochmal ca. 4h, sodass man gegen Mittagszeit in Copacabana ankommt. Nach dem Mittagsessen muss man sich zum Anlegeplatz der Fähre begeben. Für 30 Bolivianos ist man nach 1,5h endlich auf der Isla del Sol. Da es auf der Insel keine motorisierten Fahrzeuge gibt, muss man zunächst das eigene Hostel auf dem steilen Berghang auf eigene Faust suchen. Wegen der langen Anfahrt lohnt es sich zumindest eine Nacht auf dieser Insel zu verbringen. Durch andere Touristen sind wir auf ein sternewürdiges Restaurant gestoßen: „Las Velas“. Bessere Forellen (las truchas) habe ich noch nicht gegessen. Trotz der abenteuerlichen Anfahrt hat sich der Ausflug mehr als gelohnt.
Danksagung
Als allererstes möchte ich insbesondere Ekkehard, Holger und den FCSM für die Realisierung des Projekts herzlich danken! Ohne deren Engagement und die guten Verbindungen zu den Einheimischen ist so ein perfekt organisiertes Hilfsprojekt nicht möglich.
Zusätzlich danke ich Anna, die mich tatkräftig bei allen Tätigkeiten unterstützte und mir sprachlich immer zur Seite stand, wenn mein Spanisch-Vokabular nicht mehr ausreichte. Wir arbeiteten vertraut mit viel Freude Hand in Hand, als würden wir uns schon Jahre kennen.
Besondere Freude machte mir die Zusammenarbeit mit den lieben Zahntechniker/innen! Sie leisteten unter erschwerten Bedingungen einen großartigen Job und lieferten stets hochqualitative Arbeiten ab, die ich auch bei meinen Eltern einsetzen würde.
Zum Schluss möchte ich natürlich Henry und Adela danken für ihre liebevolle Gastfreundschaft und für alles, was sie taten, um uns den Aufenthalt so angenehmen wie möglich zu gestalten.
Ebenso danke ich von Herzen für die Unterstützung meiner Eltern, die immer meinen Rücken gestärkt haben!
Ausblick
Mit viel Dankbarkeit und völlig überwältigt von den positiven Gefühlen kehrte ich zurück nach Deutschland. Ich musste realisieren, dass das großartige Team, das ich kennenlernen durfte, weiter vor Ort gute nachhaltige Taten vollbringt. Ich hoffe, dass das Projekt mithilfe vieler weiterer Volontarios noch für eine sehr lange Zeit fortgeführt wird.
Ich werde definitiv nochmal nach Huacarani/Bolivien fahren, weil dort mein zweites Zuhause ist!
Haoran Li