Enzbrenner, Anne - FCSM-WEB-Seite

Direkt zum Seiteninhalt

Enzbrenner, Anne

Erfahrungsberichte > Archiv
Huancarani, 25. März - 26. April 2024

Liebe (zukünftige) FCSM-Mitglieder und sonstige interessierte Leser*innen,
gerade bin ich in Lima, kurz vor meiner Rückkehr nach Deutschland und ganz traurig, dass sich meine insgesamt dreimonatige Zeit in Peru und Bolivien dem Ende zuneigt. Unterwegs wurde ich ganz häufig gefragt, wie ich denn dazu gekommen sei, an einem Freiwilligeneinsatz in Bolivien teilzunehmen. Tatsächlich hatte ich das Ganze überhaupt nicht von langer Hand geplant - im Gegenteil: ich hatte erst wenige Monate zuvor eine neue Arbeitsstelle begonnen und gehofft, beruflich erstmal durchstarten, noch viel dazulernen und mich weiterbilden zu können, schließlich hatte ich gerade erst meine zweijährige Assistenzzeit abgeschlossen. Aber dann, nach einer Zeit der Unzufriedenheit und großer Ernüchterung, beschloss ich zu kündigen. Weil das so spontan war, hatte ich natürlich noch keine neue Stelle in Aussicht. Da entstand der Gedanke, dass ich doch nun aus dieser unglücklichen Situation das Beste machen und mich in einem Freiwilligenprojekt engagieren könnte - ich erinnerte mich wieder an den FCSM. In meinem 9. Semester war ich schon mal mit Ekkehard in Kontakt getreten, um als Studentin im Projekt mitwirken zu können. Schon immer hatte ich eine Faszination für Südamerika und wusste, dass ich mich am liebsten dort engagieren würde.
Zum damaligen Zeitpunkt klappte das leider aus organisatorische Gründen nicht, aber die Erinnerung an den FCSM und das Projekt in Bolivien war nie ganz verblasst.
Als ich mich dann im Januar dieses Jahres erneut bei Ekkehard meldete, war ich sehr erfreut, zu erfahren, dass ich ab Ende März für 5 Wochen mitarbeiten dürfte!
Die Zeit bis zum Einsatzbeginn verbrachte ich mit einer mehrwöchigen Reise durch Peru. Das gab mir glücklicherweise auch schon einmal die Möglichkeit, mein Spanisch wieder aufzufrischen.
Am Freitag, den 22. März um ca. 8 Uhr morgens landete ich schließlich in Cochabamba. Ich wusste, dass ich am Flughafen abgeholt werden würde und nach wenigen Minuten des Suchens traf ich zum Glück auf Henry, der schon einige Zeit auf mich gewartet und mich offenbar im Getümmel zunächst übersehen hatte. Da ich durch die Reise kaum geschlafen hatte, war ich zwar hundemüde aber auch hungrig, also machten wir einen Zwischenstopp in Quillacollo, eine Stadt auf halben Weg zwischen Cochabamba und Huancarani, um ein typisch bolivianisches Frühstück einzunehmen: Pastel, ein mit Käse gefülltes frittiertes Gebäck und Api, ein sehr leckeres und sättigendes Getränk aus süßem Maisbrei.
Dann ging es weiter nach Huancarani, wo ich direkt hinter dem Tor als Erstes von den Hunden und anschließend von den beiden ZT Werner und Jessi begrüßt wurde. Nachdem ich mein großzügiges und gemütliches Zimmer bezogen hatte (welch ein Luxus, nach Wochen in Hostels mal wieder einen Rückzugsort zu haben!) durfte ich auch die Hausherrin Doña Adela, Don Felipe und die anderen Voluntarios kennenlernen. Unser Vorsitzender Holger, Zahnarzt Herbert (der leider am selben Tag schon wieder abreiste) sowie die beiden Studis Laura und Jonathan waren schon im Consultorio im Einsatz.
Ich erinnere mich noch genau, wie verblüfft ich war, als ich zum ersten mal die Praxis betrat: die Ausstattung und Organisation ist nahezu so, wie man es von zuhause kennt!
Für mich ging es nicht sofort an die Arbeit, da ich an einem Freitag ankam, sodass ich mich erstmal ein bisschen von der Reise erholte und dann direkt ins Wochenende startete.
Ehrlich gesagt hatte ich erwartet, dass ich in Huancarani eine sehr ruhige Zeit verbringen würde, daher hatte ich mir viel Lesestoff und sogar Strickmaterialen mitgebracht. Dazu kam ich aber viel zu selten! Unser Freiwilligenteam war durchaus unternehmungslustig und immer zu Aktivitäten verschiedenster Art aufgelegt - so stand an meinem zweiten Tag gleich der erste Programmpunkt an: gemeinsames Grillen in unserem Hof.
Am Freitagabend erledigten wir die Einkäufe dafür, so lernte ich auch gleich einen typische lokalen Markt und mein liebgewonnenes bolivianisches Streetfood kennen.
Das Barbecue am Samstag war dann eine super Möglichkeit, alle ein bisschen besser kennenzulernen und schließlich saßen wir bis in die Abendstunden zusammen.
Am Sonntag entschieden Werner und ich, spontan einen Ausflug nach Cochabamba zu unternehmen. Von Huancarani aus dorthin zu gelangen, ist überraschend einfach. Bis zur nächsten Avenida (Hauptstraße) sind es nicht einmal 10 Minuten Fußweg. Dort fahren den ganzen Tag über im ca. 2-3-Minutentakt sogenannte Trufis vorbei, das sind Kleinbusse, die als öffentliche Transportmittel dienen und bei denen jederzeit auf der Strecke ein Zu- und Aussteigen möglich ist. Mit einem Umstieg in Quillacollo gelangt man so bei guten Bedingungen in einer Stunde nach Cochabamba. Nach einem Kaffee und Kuchen am wunderschönen Hauptplatz, wanderten wir etwas durch die Straßen. Ich war sehr positiv überrascht, überall grünte und blühte es um uns herum! Cochabamba ist zwar kein typisches Reiseziel, aber durch ein großes gastronomisches und Unterhaltungsangebot und das ganzjährig gleichbleibend warme Klima eine sehr angenehme Stadt. Unser eigentliches Ziel an diesem Sonntag war die Top-Attaktion Cochabamas, der Cristo de la Concordia, eine der größten Christusstatuen der Welt, die mit 34 m sogar einige Zentimeter mehr als der berühmte Cristo von Rio de Janeiro misst, wirklich beeindruckend! Sie steht auf einem Hügel neben der Stadt, der natürlich auch tolle Ausblicke bietet.
Abends machen wir uns auf den Rückweg nach Huancarani, denn am nächsten Tag sollte für mich die Arbeit im Consultorio beginnen.
Den ersten Tag behandelte ich zusammen mit Henry, der wirklich super geschult ist und sich top in der Praxis auskennt. Bei jedem organisatorischen und technischen Problem wusste er Rat, so hatte ich überhaupt keine Startschwierigkeiten. Die Behandlung im Consultorio lief wirklich reibungslos und dank der tollen Ausstattung und einer Vielzahl an Instrumenten und Materialien kann man fast so behandeln, wie man es aus Deutschland gewohnt ist. Ein riesiges Lob und vielen Dank an dieser Stelle an den FCSM und vor allem an Ekkehard - was ihr in Bolivien aufgebaut habt und aufrechterhaltet, ist wirklich beeindruckend und hebt sich sicherlich deutlich von vergleichbaren Projekten ab.
Wir arbeiteten ohne Terminvergabe, die Patienten kamen oft früh morgens an und warteten teilweise sogar schon einige Stunden vor unserer Öffnung vor dem Hoftor. Henry registrierte alle Ankömmlinge und dann ging es los, nach dem Prinzip „wer zuerst kommt mahlt zuerst“. Die Patienten waren zum Glück immer super geduldig und dankbar. Unser täglich Brot bestand aus einer Vielzahl von Füllungen, vor allem überraschend häufig von ausgedehnter Fissurenkaries, einigen Extraktionen, leider oftmals schon bei sehr jungen Patienten, Zahnreinigungen mit Ultraschall, aber auch der ein oder anderen Wurzelbehandlung (hierfür gibt es sogar ein Reciproc-Gerät!). Dank unserer tollen Zahntechniker konnten wir nach Abformung und Bissnahme auch Placas, einfache Kunststoffprothesen, anfertigen und so einigen Patienten ein neues Lächeln schenken. So gut es ging, versuchten wir außerdem, Mundhygiene-Aufklärung und -motivation zu betreiben. Die Kariesprävalenz vor Ort ist aufgrund des weit verbreiteten Verzehrs hochverarbeiteter und stark gezuckerter Produkte und fehlender Kenntnisse über die Entstehung von Zahnerkrankungen und deren Vermeidung leider sehr hoch. Ich hoffe, dass wir somit zumindest bei dem/der Ein oder Anderen auch langfristig etwas bewirken konnten.
Auch wenn wir oft eine hohes Patientenaufkommen mit großem Behandlungsbedarf hatten, gab es trotzdem nie eine stressige Arbeitsatmosphäre. Die zweistündige Mittagspause bot nach dem reichhaltigen und stets leckeren Essen, das Doña Adela unter der Woche für uns zubereitete, Zeit zum Entspannen.  
 
Durch die Osterfeiertage endete meine erste Arbeitswoche schon am Donnerstag. Die drei freien Tage nutze ich für eine Tour in die berühmte Salzwüste von Uyuni und die Hochebene Altiplano im Süden Boliviens. Mit dem Nachtbus ist Uyuni bequem von Cochabama aus zu erreichen. Die Tour ist zwar durch stundenlange Fahrten im Jeep etwas anstrengend, aber trotzdem total empfehlenswert - die Landschaften sind so vielseitig und einfach spektakulär!
Am darauffolgenden Montag durfte ich dann mit Sarah eine weitere Voluntärin kennenlernen, somit war dann auch unser Team für die nächsten vier Wochen komplett.
Da es für Sarah bereits der dritte Einsatz in Huancarani war, hatte sie einige spannende Ausflugtipps parat und schon eine neue Idee für die Abendgestaltung: Tanzstunden in der Salsaakademie, die praktischerweise sogar eine Niederlassung in Quillacollo hatte. So kam es, dass ich tatsächlich auch ein paar Kenntnisse in Salsa und Bachata erlangte und vor allem unglaublich viel Spaß hatte. Langweilig wurde es definitiv nie!
Die übrigen Wochenenden nutzte ich für einen Trip nach Sucre und Ausflüge nach Cochabamba, Quillocollo und das nahgelegene Dorf Sipe Sipe. Einmal fand dort sogar ein großes Fest statt, bei dem sich alles um Guarapo, eine Art lokal produzierten Traubenmost, drehte. In dem sonst so beschaulichen Örtchen kamen mehrere tausend Menschen zusammen, es gab eine große Bühne und eine sehr ausgelassene Stimmung. Das Feiern kommt jedenfalls in Bolivien nicht zu kurz, soviel kann ich nach meinem Aufenthalt dort mit Sicherheit sagen!
 
Abschließend möchte ich mich bei allen anderen Voluntarios bedanken, ihr habt diese Zeit wirklich zu einer ganz unvergesslichen gemacht. Tausend Dank an Holger und Werner für die professionellen Tipps und die gute Umsorgung, es war immer angenehm mit euch zu arbeiten und  mit euch beim gemeinsamen Gläschen am Abend oder am reich gedeckten Frühstückstisch zusammenzusitzen! Danke an Sarah und Jessi für alle tiefsinnigen Mittagspausengespräche und unsere gemeinsamen Ausflüge, ich bin so froh, dass ich die Zeit in Huancarani mit so tollen Menschen teilen durfte.
Das Zusammenleben in meinen 5 Wochen hat sich fast angefühlt wie in einer WG, also wie zuhause :) Freue mich schon sehr, euch alle bald bei der Mitgliederversammlung wiederzusehen!
 
Wenn ihr, liebe Lesende, gerade überlegt, ob ein Einsatz in Huancarani das Richtige für euch sein könnte - tut es! Für mich war es wirklich eine auf beruflicher und persönlicher Ebene total bereichernde Erfahrung. Ich hoffe sehr, dass dieses Projekt mit soviel Herzblut noch voele Jahre weiter bestehen kann.
Saludos y hasta pronto,
Anne Enzbrenner
Zurück zum Seiteninhalt