Kinny, Sebastian
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Huancarani + Chapare 03.08.-04.09.2015
Da ich meinen Aufenthalt in Huancarani bzw. im Chapare in einen größeren Südamerika-Trip eingebettet hatte, reiste ich aus Bogotá, Kolumbien ein. Die ersten zwei Wochen verbrachte ich in der Escuela Runawasi, etwas, das ich jedem, fast unabhängig davon, ob er oder sie spanisch spricht oder nicht, empfehlen würde. Einerseits lernt man so sofort vom ersten Tag andere Leute kennen, mit denen man (teils auch über die Schule organisiert) Ein- und Mehrtagestouren wie bsp. in den Toro-Toro-Nationalpark (machen!!) oder zum Salar de Uyuni (noch viel mehr machen!!) unternehmen kann, andererseits bekommt man so über die Lehrer der Schule interessante Hintergrundinfos über Bolivien und Südamerika generell direkt aus erster Hand. Dadurch gelingt die Eingewöhnung in diese doch extrem andere Kultur nicht zuletzt auch mithilfe der Gastfamilien sehr schnell. Hier traf ich dann sowohl Insa, meine Vorgängerin, als auch Reinhart, meinen Mitstreiter in Huancarani und wir konnten uns schon im Vorfeld ungezwungen austauschen.
Die Umgewöhnung von Cochabamba (Stadt, immer was los, Party) nach Huancarani (etwas ab vom Schuss, sehr ruhig) war bei mir dann doch etwas holprig, und ich hatte in der ersten Woche ein wenig mit der neugewonnenen Ruhe „zu kämpfen“. Nicht zuletzt auch, weil unser Angebot von der einheimischen Bevölkerung eher schleppend angenommen wurde. Dies mag einerseits an den anstehenden Feiertagen des Augusts (Nationalfeiertag, Feiertag der Virgen de Urkupiña in Quillacollo) gelegen haben, andererseits glaube ich aber auch, dass sich im Dorf relativ schnell rumgesprochen hat, dass die Besatzung mal wieder gewechselt wurde und wir erst mal „beschnuppert“ werden sollten, denn in der letzten Woche unserer Vorgänger, war die Resonanz deutlich stärker ausgeprägt.
Nach den kurzen Anlaufschwierigkeiten füllte sich dann aber auch bei uns das Auftragsbuch und wir konnten zahlreiche Füllungen legen und so manchen Wurzelrest seinem Ende zuführen. War der Dentalstatus der Erwachsenen in ungefähr so, wie ich es mir vorgestellt hatte, so übertrafen die Kinder jegliche (schlechten) Erwartungen. Besonders in unserem mobilen Projekt im Chapare, in das ich für meinen letzten zwei Wochen rotierte, sahen wir nahezu durchweg Kindergebisse, bei denen man in Deutschland ernsthaft erwägt, das Jugendamt zu kontaktieren. 4 Jährige, bei denen sämtliche Milchzähne extraktionswürdig sind, sind eher die Regel, denn die Ausnahme, ebenso 14 Jährige, bei denen 6er und 7er bis zum Pulpakammerboden weggefault sind. Bei Cola in der Nuckelflasche und 13 Jährigen, die unter deiner Aufsicht das erste Mal im Leben eine Zahnbürste benutzen, ist das allerdings auch nicht verwunderlich.
Generell ist das Arbeiten natürlich ein gänzlich anderes als zu Hause, auch wenn die Ausstattung in Huancarani guter europäischer Mittelklasse entspricht: Die Kultur, die Sprache, das veränderte Patientenklientel und nicht zuletzt die Masse an Kindern als Patienten tragen dazu bei.
Die Unterkunft ist super, vor allem der morgendliche Blick beim Duschen über die teilweise schneebedeckten Ausläufer der Anden bei strahlender Sonne und stahlblauem Himmel entschädigte für Einiges und rief so manches Mal als Foto per WhatsApp bei dem Daheimgebliebenen Neid hervor. Denn auch wenn Huancarani eine gefühlte Ewigkeit von der nächstgroßen Stadt entfernt ist, keine Sorge, Handynetz + mobiles Internet ist vorhanden (in den Abendstunden leider nur eingeschränkt schnell).
Die Situation im Chapare dagegen war eine gänzlich andere: Die Ausstattung sehr rudimentär, Unterkunft ebenfalls, dafür mehr Patienten als wir behandeln konnten (meist haben wir ca. 20 pro Tag behandelt und fast genauso viele haben wir aus Zeit- und Ressourcenmangel wieder wegschickenmüssen). Rückblickend war „das Abenteuer im Dschungel“ zwar der anstrengendste, aber auch aufregendste und prägendste Teil der Arbeit, den ich keinesfalls missen möchte.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ichmich trotz der ungewohnten Umgebung nie unwohl gefühlt habe. Das lag einerseits an Adelas unglaublich herzlicher Art, jeden der Alemanes sofort in die Familie aufzunehmen, als auch an Reinhart, in dem ich einen Freund gefunden habe, der mir viele tolle Tipps aus seiner langen Berufserfahrung geben konnte und dieses Abenteuer zu einer tollen Erfahrung gemacht hat, an die ich garantiert den Rest meines Lebens mit Freude zurückblicken werde.
Sebastian Kinny, Oktober 2015