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Müller, Lars u. Stahl, Julia

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Bolivia movil, 28. Februar - 12. März 2020
Im Vorfeld der Reise waren wir (Julia und Lars) bereits recht lang im Kontakt mit Dr. Ekkehard Schlichtenhorst, einem Vorsitzenden des FCSM. Er organisiert bereits seit vielen Jahren das Projekt Bolivia movil zusammen mit seinen lokalen Partnern Don Arturo Zamorano und Max Steiner. Ekkehard versorgte uns mit allen Informationen, die für das Gelingen des Einsatzes nötig waren. Nach Organisation, Vorbereitung und unterschiedlichen Anreisewegen trafen wir uns schließlich am 28.02.2020 mit Ekkehard auf dem Internationalen Flughafen von Sucre. Auf der Fahrt mit dem Trufi (Minibus) vom Flughafen nach Sucre kamen wir sehr schnell ins Gespräch über allerlei Flug- und Reiseerlebnisse und es herrschte direkt eine entspannte Atmosphäre. Den ersten gemeinsamen Abend ließen wir bei einem Abendessen und guten Gesprächen ausklingen.
Den folgenden Samstag nutzten wir, um unsere Ausrüstung zu sichten und Ekkehards Erklärungen zur Funktionsweise der mobilen Behandlungseinheiten entgegenzunehmen. Als wir dann am Nachmittag mit dem Gröbsten durch waren, hatten wir etwas Zeit, uns die wunderschöne koloniale Innenstadt Sucres anzuschauen. Besonders angetan hat es uns dabei der Mirador nahe des Klosters La Recoleta, von dem man eine wunderschöne Aussicht auf die konstitutionelle Hauptstadt Boliviens genießen kann.
Am Sonntag trafen wir dann erstmals Catrin, die uns während unseres Einsatzes als erfahrene Zahnärztin begleiten sollte. Damit war unser Team vollständig und wir waren sicher, dass wir eine gute Zeit haben würden. Außerdem begrüßte uns ein fünfköpfiges „Empfangskomitee“  der Schulorganisation Fe y Alegria, in deren Schulen wir demnächst arbeiten sollten.
Arbeit in der Schule Gualberto Paredes
An unserem ersten Arbeitstag wurden wir und unsere Ausrüstung vom Schulleiter mit einem Pickup abgeholt und in das Colegio Gualberto Paredes im Stadtteil Azari gefahren. Zunächst erfolgte der Aufbau der mobilen Behandlungseinheiten, was erstaunlich problemlos gelang. Anschließend wurden wir zum Morgenappell gerufen, wo die Schulkinder die Nationalhymne sangen und darüber informiert wurden, dass wir in den nächsten 2 Wochen an ihrer Schule kostenlose zahnmedizinische Dienstleistungen verrichten würden.
Dann konnten wir unsere Behandlungen beginnen, wo uns erwartungsgemäß Kinder mit recht desolaten Gebisszuständen begegneten. Nahezu alle Schüler hatten einen extraktionswürdigen Zahn, fehlende Zähne, zahlreiche kariöse Läsionen und/oder viel Zahnstein. Bemerkenswert war, dass wir direkt am ersten Tag eine Abszessinzision vornahmen. Erstaunlich waren zudem Kinder mit zerstörten Milchzähnen, die teilweise in multiplen Fisteln resultierten.
Unsere Mittagspausen verbrachten wir täglich nahe der Schule in einem kleinen Restaurant mit einer sehr freundlichen Köchin, mit der wir uns schnell anfreundeten.
Während früh die Kinder ab der 7. Klasse behandelt wurden, kamen nachmittags die kleineren Kinder zu uns. Wie die Größeren versorgten wir diese mit erweiterten Fissurenversiegelungen, Füllungen und führten bei jedem Kind eine Zahnreinigung (auf einem Plastikstuhl sitzend) durch.
Oftmals konnte leider auch hier nur die Indikation zur Extraktion gestellt werden, wofür jedoch das Einverständnis der Eltern in Form einer Unterschrift benötigt wurde.
Nach Arbeitsende 17 Uhr und Aufbereiten der Instrumente trafen wir Ekkehard wieder, mit dem wir zusammen den Abend verbrachten.
Am nächsten Tag hatten wir so langsam ein gewisses Behandlungskonzept, sodass wir entspannter, effizienter und mit noch mehr Spaß behandeln konnten. Zunächst wurden die Kinder von demjenigen, der die Zahnreinigungen macht, nach Behandlungsbedarf „gescreent“. Einige, die beispielsweise endodontische Behandlungen benötigten (die wir nicht durchführen konnten) oder keinen Behandlungsbedarf hatten (was jedoch selten war), konnten somit direkt nach der Reinigung nach Hause geschickt werden und erforderten keine weitere Aufmerksamkeit des Behandlers. Im Anschluss an Zahnreinigung und Mundhygieneinstruktion bekam jedes Kind eine Zahnbürste geschenkt.
Reichlich zur Anwendung kam auch das Konzept von Ekkehard, sich aufgrund des Zeitmangels und des hohen Behandlungsbedarfs auf die Versorgung initialer kariöser Läsionen mit erweiterten Fissurenversiegelungen zu konzentrieren, da diese sehr schnell zu legen sind und eine hohe Erfolgsrate aufweisen. Dazu möchten wir gerne auf seinen sehr interessanten Artikel hinweisen, welcher voraussichtlich bald in der zm erscheinen wird.
Die Behandlungen waren meist sehr erfüllend und motivierend, da man oftmals das Gefühl hatte, den Kindern auf zahnmedizinischer Ebene grundlegend helfen zu können. Allerdings muss dem entgegengesetzt werden, dass es auch häufig äußerst unbefriedigende Situationen gab: unter 10-jährige Kinder mit sehr vielen tief zerstörten, fehlenden Zähnen oder Zähnen, die nur noch durch eine endodontische Behandlung erhalten werden könnten. Für solche Fälle kann man im Rahmen des Bolivia movil Projektes leider keine zielführende und nachhaltige Therapie durchführen.
Abwechslungsreiche Wochenendgestaltung
Das Wochenende sollte nicht weniger aufregend werden. Wir freuten uns schon sehr auf ein großes Kennenlernen mit einer anderen Projektgruppe des FCSM. Der FCSM betreibt ein weiteres „Consultorio dental“, allerdings in einer festen Station in Huancarani, nahe Cochabamba. Da sie dort über fest installierte Einheiten und ein Dentallabor verfügen, können sie ein anderes Behandlungsspektrum anbieten, als wir in unserem mobilen Einsatzprojekt. Früh am Samstagmorgen kam es zu einem herzlichen Kennenlernen mit den dortigen Zahnärzten, der Dentalhygienikerin, dem Zahntechniker, dem studentischen Famulanten und der bolivianischen Haushälterin. Gemeinsam besuchten wir den „Mercado campesino“ - den sog. Bauernmarkt. Hier findet sich alles, was das Herz begehrt. Angefangen bei Küchenutensilien, Kleidung, Brot, Metzgereiwaren, Gemüse, Obst zu Cocablättern und noch so vielen anderen verwunderlichen Dingen. Wir genossen diese umtriebige Atmosphäre mit einem frischen Smoothie und machten uns danach gestärkt auf in die Stadt, um auch den anderen die „schönste Stadt“ Boliviens zu zeigen. Alle waren hin und weg von der weißen Pracht Sucres, die sich unter strahlend blauem Himmel präsentierte. Gemeinsam besuchten wir den schon bereits erwähnten Aussichtspunkt und ein Museum mit traditioneller Webkunst. Hiervon war besonders die bolivianische Haushälterin Doña Adela - eine waschechte Cholita mit langen Zöpfen, traditionellem Hut, Rock und einem großen Herzen - begeistert. Sie konnte mit der dort arbeitenden Weberin über besondere Muster und Techniken fachsimpeln. Der Tag ging schnell vorbei und den Abend verbrachten wir in einer traditionellen Churrasqueria - hier wurden bei gutem bolivianischem Wein, üppigen Beilagen und besonderem Ambiente riesige, gegrillte Rinderfilets serviert, die keinen hungrig nach Hause gehen ließen.
Der Sonntag sollte ganz im Sinne der beeindruckenden bolivianischen Natur und Dino-Spuren verlaufen. Wir machten uns frühmorgens mit einer Non-Profit Organisation auf den Weg und wanderten entlang eines alten Inca-Trails. Wir freuten uns sehr, die Stadt einmal verlassen zu haben und die traumhafte Natur Boliviens näher kennen zu lernen. Viele der Landstriche sind sehr ärmlich und schwach besiedelt, der naturnahe Tourismus ist für diese Gebiete eine wahre Bereicherung. Die Dino-Spuren erreichten wir am späten Nachmittag in einem sehr abgelegenen Gebirgsteil. Unvorstellbar, dass diese riesigen Fußspuren vor 13 Millionen Jahren am Ufer eines Sees entstanden sind und nun auf knapp 3.000 m über dem Meeresspiegel liegen… Wir kehrten erfüllt von den vielen Eindrücken und müde von dem sonnigen Tag spätabends nach Sucre zurück.
Auf in unsere zweite Projektwoche
Unsere nächste Projektwoche begann mit einem großen Patientenansturm. Die Schüler hatten ihre Scheu abgelegt, Mut gefasst und saßen nun schon kurz nach Schulbeginn Schlange vor unserem Consultorio und warteten darauf, behandelt zu werden. Zum einen kamen viele neue Patienten, allerdings konnten wir auch einige bekannte Gesichter ausmachen. Darüber freuten wir uns sehr. So konnten einige „Baustellen“ nach und nach zum Ende gebracht werden und wir gingen abends mit dem Gefühl nach Hause, nachhaltig etwas zur Zukunft der Kinder beigetragen zu haben. Wir konnten erkennen, dass die Schüler, die schon früher von dem mobilen Projekt profitiert hatten, im Vergleich zu noch unbehandelten Kindern einen besseren Gebisszustand und eine bessere Mundhygiene aufwiesen. Wir waren ebenfalls erstaunt darüber, dass viele der Kinder ihre Einwilligungszettel zur Extraktion zurückbrachten - damit hätten wir zu Beginn nicht gerechnet. Auch hier konnten wir unsere Behandlungen erfolgreich fortsetzen.
Die Arbeit ging immer koordinierter von der Hand. So konnten wir vielen Kindern sowohl mit konservierenden als auch kariesprophylaktischen Behandlungen helfen sowie ihnen nützliche Tipps und neue Zahnbürsten für die häusliche Mundhygiene mitgeben.
Die Ereignisse überschlagen sich
Im Laufe der zweiten Woche unserer Famulatur änderte sich das Bild an der Schule jedoch mehr und mehr. Die Nachrichten über die Covid-19-Pandemie hatten die Schüler ebenfalls erreicht. Immer mehr Kinder trugen Mundschutzmasken, wir wurden mit Fragen zu dieser neuartigen Erkrankung überhäuft und des Öfteren gefragt, ob auch wir krank seien. Über den großen Wissensstand und das Interesse der Kinder waren wir überrascht.
Bis Mitte der zweiten Woche lief unsere Famulatur noch ganz normal ab und wir planten tatkräftig und motiviert den folgenden Einsatz, der uns zu Schulen in sehr abgelegenen Regionen des Landes führen sollte.
Am Donnerstag überschlugen sich dann die Ereignisse. Die ersten drei Corona Erkrankungen in Bolivien waren am Mittwoch bestätigt worden. Die Regierung handelte daraufhin blitzschnell. Im Eiltempo wurde am Donnerstag die Schließung aller Schulen beschlossen. Dies geschah wohl auch mit der Sorge, dass Bolivien als ärmstes der südamerikanischen Länder, mit seinem desolaten Gesundheitssystem, einer Pandemie nicht gewachsen und für einen großen Ausbruch an Erkrankungen nicht gewappnet wäre.
Somit war unser Einsatz erst einmal abgebrochen. Unser Behandlungszimmer, welches wir zur Mittagspause noch ganz normal verlassen hatten, musste im Eiltempo abgebaut werden. Viele Kinder warteten noch vor unserer Tür und wir mussten sie bedauerlicherweise wegschicken und sie auf eventuell folgende Einsätze im nächsten Jahr vertrösten. Wir wurden noch vom Schulleiter und einer kleinen Delegation von Verantwortlichen verabschiedet und mussten dann überstürzt die Schule verlassen.
Bei uns herrschte eine Aufregung, die durch die Schnelligkeit der aufeinander folgenden Ereignisse und die für uns undurchsichtige Nachrichtenlage in Bolivien bedingt war. Am Abend setzten wir uns dann mit dem Verantwortlichen vor Ort zusammen und schmiedeten Pläne, wie wir in dieser Krisen Situation agieren und unsere Famulatur weiterverfolgen könnten. Unser neuer Plan war es, in einem ländlichen Krankenhaus zu behandeln und unser Angebot, das bisher nur für Kinder gedacht war, auch auf Erwachsene auszuweiten. Am Montag sollte es los gehen.
Doch mit dem rasenden Tempo, mit dem die Pandemie um die Welt ging, sollte sie auch unsere Pläne durchkreuzen. Wir verbrachten den Freitag, den wir durch die Krisen-Situation frei hatten, in der weißen Kolonialstadt und versuchten unsere Gedanken mit neuen entdeckten Orten, guter Laune und gutem Kaffee von der Pandemie weg zu bringen. Doch dies gelang nur teilweise. Durch besorgte Nachrichten, die uns aus Deutschland erreichten, ein neu beschlossenes und ab Samstag geltendes Ein- und Ausreiseverbot für Europäer in Bolivien, bereits geschlossene Grenzen in Peru und Chile und die drohende komplette Grenzschließung in Bolivien wurde der entspannt angedachte Freitag für uns zur Grübelpartie. Wir wägten die belegten Fakten gegeneinander auf, bedachten unsere soziale Verantwortung den Menschen und dem Projekt gegenüber und tauschten unsere Gedanken miteinander aus. Bis spät in der Nacht saßen wir zusammen und konnten uns nicht so wirklich zu einer Entscheidung durchringen, denn keine der „Lösungen“ erschien uns richtig. Doch besonders in schweren Situationen müssen Entscheidungen getroffen werden, deren zukünftige Auswirkungen heute noch nicht ersichtlich und vorhersehbar scheinen. So trafen auch wir spätnachts schweren Herzens eine Entscheidung. Wir entschieden uns zur Abreise und somit auch zum Abbruch des Projekts, was wir durch die sich weltweit zuspitzende Situation für nötig hielten.
Diese Entscheidung fiel uns allen sehr schwer und wir trafen sie mit zwei weinenden Augen. Es war und ist für uns sehr unbefriedigend, dass wir das Projekt und unsere zahnärztliche Tätigkeit in Bolivien verfrüht beenden mussten. Das Projekt erscheint uns durch die tollen, motivierten, wissbegierigen, tapferen Kinder und die dankbaren Eltern und Lehrkräfte als sehr sinnvoll und wir haben die Praxis trotz der ungewohnten Arbeitsbedingungen liebgewonnen. Ebenfalls hatten wir uns als Team sehr gut zusammengefunden und hätten gerne noch weitere Wochen miteinander erlebt.
Dennoch sind wir froh, dass wir ohne größere Probleme - natürlich mit einiger Aufregung und kleineren Zwischenfällen - gesund nach Deutschland zurückkehren konnten, bevor nun die Grenzen in Bolivien komplett geschlossen sind.
 
Große Träume für ruhigere Zeiten
Wir blicken mit großer Zufriedenheit und einem Lächeln auf die tolle Zeit während unserer Famulatur mit dem FCSM zurück und möchten diese Erfahrung auf keinen Fall missen. Sie ist umso mehr ein Ansporn für die Zukunft, noch einmal an einem Hilfsprojekt teilzunehmen und Menschen Zahnheilkunde zukommen zu lassen, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang dazu haben.
Einen herzlichen Dank an Dr. Ekkehard Schlichtenhorst und den FCSM, die das Projekt organisiert haben, sowie an die Zahnarztpraxis Müller in Lutherstadt Eisleben, die das Projekt durch eine Materialspende unterstützt hat. Dankeschön auch an Don Arturo Zamorano, der uns vor Ort oft half und es immer ein gutes Gespräch gab, und an Max Steiner, den wir zwar nie trafen, aber der trotzdem unverzichtbar für das Projekt ist.

Julia Stahl (Studentin im 8. Semester aus Tübingen),
Lars Müller (Student im 10. Semester aus Leipzig) -
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