Mlynaczyk, Monika
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Huancarani, 24. April - 26. May 2023
Meine Ankunft - Babciu, ich bin gut angekommen!
Nach dem längsten Flug meines Lebens sind wir, die 3er-Truppe, in Cochabamba gelandet. Ich kann es nur schlecht beschreiben, was in mir vorging. Meine Familie in Deutschland und in Polen hat mich die letzten Monate so bearbeitet und ängstlich eingestellt, dass ich wirklich nicht wusste, ob ich das Richtige tue. Vor allem habe ich mich das erste Mal von meiner geliebten Tochter gelöst. Sie war bei meinen Eltern gut aufgehoben und mein Ex-Mann war auch vor Ort.
Meine Oma aus Przywary sagte: „Wir wollen Dich nicht verlieren, mein Kind.“ Es war hart, so etwas zu hören. Aber natürlich verständlich, wenn man das Große, Weite, Fremde nicht kennt. Ich hatte das Glück, mit zwei ausgezeichneten Spaßmachern und großen Bodyguards geflogen zu sein - dem Zahntechniker Frank und dem Zahnarzt Thomas. Bei der letzten Etappe der langen Reise nach Huancarani, sicher in dem Wagen von Henry - unserem Freund und Helfer vor Ort - waren die letzten Ängste im Nu verflogen.
Alles war neu, überall Massen an Menschen und Straßenstände mit allem Möglichen. Fleisch wurde direkt am Straßenrand verkauft. Armut, Müll und Staub, wo man nun hinguckte. Es war so sehr anders, als ich mir das vorgestellt hatte.
Von Doña Adela herzlich empfangen, packten wir erst einmal aus und schauten uns in der Praxis und dem Labor um. Es war alles Nötige vorhanden, um herausnehmbaren Zahnersatz herzustelle - und es war sehr, sehr viel zu tun. Wir bereiteten schon mal die gefühlt 30 Modelle vor und informierten uns über die Abläufe. Das Mittagessen war ein wahrer Gaumenschmaus, und ich freute mich über die vielen neuen Gesichter und Geschichten. Ich war gut angekommen!
Meine Arbeitswelt - Listo?
Nach dem ersten gelungenen Wochenende mit Frank fingen wir pünktlich an zu arbeiten. Es waren unglaublich viele Klammern zu biegen und viele Zähne zu ersetzen. In den ersten Tagen mussten wir uns ein wenig organisieren und erstmal alles finden, was wir benötigten.
Nach jedem Arbeitsschritt konnten wir in die darunter gelegene Praxis gehen und uns unsere Kunstwerke im Patientenmund anschauen. Wir versuchten, alle funktionellen Aspekte und natürlich auch die ästhetischen Anforderungen so gut wie möglich zu erfüllen. Die Kommunikation zwischen den Zahnärzten und uns war am Anfang mühsam, aber es entwickelte sich schnell zu einer wahren Freude für alle Beteiligten. Gegen 12.00 Uhr gab es jeden Tag ein mit Liebe gekochtes Mittagessen von Doña Adela. Das Essen war sehr abwechslungsreich und es gab nichts, was mir nicht schmeckte. Oftmals gönnte ich mir einen Nachschlag.
Es war für mich purer Luxus, jeden Tag so ein leckeres warmes Essen serviert zu bekommen. Nach der Mittagspause machten wir uns wieder an die Arbeit und tüftelten bis 18.00 Uhr fleißig an den Prothesen. Doña Adela versorgte uns ebenfalls mit leckerem Abendbrot. Oftmals tranken wir Vino dazu, erzählten und sogar Gedichte wurden vorgetragen. Es wurde gesungen, Geburtstag gefeiert und wir schweißten immer enger zusammen. Manchmal half ich in der Praxis aus. Ich hatte bisher keine Erfahrung, direkt einem Zahnarzt zu assistieren. Mit Holger, einem pensionierten Zahnarzt und dem Vorsitzenden des FCSM-Vereins, habe ich mit viel Freude gearbeitet. Ich habe beim Kariesentfernen und bei Extraktionen zugesehen und abgesaugt. Bei einer Zahnreinigung und Wurzelbehandlung durfte ich ebenfalls assistieren.
Mein letzter Fall, den ich mir sehr zu Herzen genommen habe, war ein älterer Herr, der extrem abgeknirschte Zähne hatte. Im Profil sah man von Weitem, wie doll das Gebiss abgesenkt war. Im Oberkiefer mussten Zahn 14 bis Zahn 24 entfernt werden und im Unterkiefer fehlten lediglich zwei Zähne. Herr Fortunado hatte keine weiteren kariösen Stellen im Gebiss. Nach mehreren Konsultationen mit den großartigen Zahnärzten Haoran und Anna erarbeiteten wir einen Behandlungsplan, der mit meinen letzten Arbeitswochen harmonierte. Nach der Bissnahme und der Erhöhung des Bisses ging es dann schnell weiter mit der Einprobe. Im Oberkiefer ersetzte ich die fehlenden Zähne und legte Klammern an die Molaren. In Unterkiefer versorgte ich den lieben Herrn mit einer so genannten Reiseprothese - einer Steckprothese, die über seine abgekauten Zähne gesetzt wurde. Somit erhöhte ich ein wenig die Okklusion.
Nach der Fertigstellung war mein Patient sehr glücklich über seine neuen „Plakas“. Das Seitenprofil hob sich, die Nase wirkte wieder natürlich und wir alle strahlten bis über beide Ohren. Es war so toll zu sehen, wie dankbar der liebe bolivianische Opi gewesen ist. Ich bin ebenfalls dankbar dafür, dass ich mit ins enge Boot geholt wurde und die tolle Zusammenarbeit mit den Zahnärzten Haoran und Anna erleben durfte. Und nun rief Doña Adela zu Tisch.
Fertig? ¿Listo?
Meine Ausflüge – Freizeit!
Es gab so viel zu entdecken und ich war so neugierig auf die Menschen, die Natur und die Abenteuer meines Lebens.
Der erste unserer vielen Ausflüge war der Tripp mit Frank nach Villa Tunari. Die Hinfahrt war ein wahres Spektakel. Der von zahlreichen Verkäufern besuchte Bus (Lebensmittel, Fertiggerichte, Obst, Gemüse und Salben wurden verkauft) fuhr erst 45 Minuten, nachdem wir eingestiegen waren, los. Alle Plätze mussten schließlich besetzt werden. Wir reisten durch die wunderschöne Natur Boliviens und bedauerten es sehr, dass die Einheimischen so unbewusst mit ihrem Stück Heimat umgingen. Vor Ort begleitete uns unser musikaffiner Fahrer jeden Tag in den gewaltigen Regenwald. Die Begegnung mit den frechen Affen, die uns jedes Mal die Erdnüsse klauten, und den Blattschneideameisen war das Highlight.
Die Rückreise war leider weniger angenehm. 12 Stunden im Stau, neben den Abgasen der LKW‘s…. Es war für mich wortwörtlich zum Kotzen.
Mein nächstes Abenteuer beschreitete ich mit Thomas und Anna und meinem lieben Kollegen Frank. Über ein verlängertes Wochenende flogen wir in die bunte und laute Stadt La Paz. Wir besuchten zahlreiche Märkte, haben eingekauft und probierten viele regionale Getränke und Gerichte. Am nächsten Morgen haben Anna und ich einen Ausflug auf Chacaltaya gebucht. Die Herren haben sich für die Stadt entschieden. Es war nicht ganz so weit vom Bus bis zur Spitze, aber die dünne Luft auf dem 5395 Hm hohen Berg hat es mir nicht leicht gemacht. Dort ganz oben war einer der besten Momente in Bolivien. Es war so befreiend und ich habe solch eine Glückseligkeit verspürt. Es machte mich süchtig.
Einen Tag später fuhren wir an die schöne Copacabana an den Titicacasee und auf die Sonneninsel, wo Anna und ich aus dem Jungbrunnen tranken und spazieren gegangen sind. Frank und Thomas waren schwimmen, tranken Kaffee und sind im Boot sofort eingeschlafen. In Cochabamba verbrachte ich einen tollen Nachmittag mit den Zahnärztinnen Franziska und Anna. Wir fuhren mit dem Trufi, kauften ein und tranken einen herrlichen Kaffee in der Nähe von Plaza Metropolitana 14 de Septembre.
Am Sonntag machten wir uns auf zu der archäologischen Stätte Inkaraquay. Es war sehr mühsam in der Hitze und so viel weiter als mein erster Aufstieg in La Paz. Eine herrliche Ruhe und das Picknick mit dem wunderschönen Ausblick über Sipe Sipe und unser Huancarani waren einfach nur toll. Das hätte ich gerne Gloria gezeigt. Sie hätte sich so sehr über die vielen Ziegen zwischen den Ruinen und Felsen gefreut.
Am 13. Mai fuhr ich mit Anna, mittlerweile einer guten Freundin, in den Eukakyptuswald. Wir wanderten gemütlich, machten viele Fotos und hatten einen erlebnisreichen Nachmittag. Zurück in Quillacollo trafen wir Haoran, der gerade angereist war. Wir kauften ein und fuhren mit unserem geliebten Trufi nach Hause. Einen grandiosen Ausflug zu den Wasserfällen von Apote machte ich mit Frank, Thomas, Haoran und Anna. Wie die Kletterziegen haben wir uns durch die Felsen und das viele Wasser durchgedrungen. Ein Riesenspaß, aber nicht ganz ungefährlich. Die vielen Familien mit Kleinkindern waren in meinen Augen falsch am Platz. Vor allem hatten fast Alle schlechtes Schuhwerk, was es unmöglich machte, nicht auszurutschen. Nach dem anstrengenden Ausflug saßen wir gemütlich beim Wein und diskutierten über Haoran‘s ersten Ausflug mit uns. Am 15.05.23 verabschiedeten wir uns schweren Herzens von Thomas, einem großartigen Redner und Truffifeind. In den nachfolgenden Tagen warteten wir gespannt auf Ekkehard, den Chef - der junggebliebene, ältere Herr, der uns so liebevolle E-Mails schrieb. Den wollten wir unbedingt kennen lernen.
Ein gemeinsamer Ausflug nach Pico Tunari war geplant. Henry fuhr mit uns entlang der tollen Bergkulisse, an Alpakaherden und „Trucha“-Becken vorbei. Nun ging es weiter zu Fuß. Ausgestattet mit allem Warmen, was wir hatten, sind wir, noch fröhlich losspaziert. Wunderschöne Eiszapfen hingen hier und dort und die Sonne prallte auf Hochtouren. Wir gingen weiter entlang der herrlich ruhigen Seen bis es für die Älteren der Truppe nicht mehr möglich war. Zu viert in Zweiergruppen bestiegen wir, alle paar Schritte pausierend und teilweise auf allen Vieren, den Pico Tunari. Es war mein schwerster Aufstieg, aber ich habe keine einzige Sekunde gezweifelt oder es bereut. Oben bei 5.052 m angekommen, flatterte die bolivianische Flagge fröhlich und uns erwartete eine atemberaubende Aussicht. Dick eingepackt stärkten wir uns mit Proviant, einem warmen Tee und einem leckeren Schluck El Tigre aus dem Urwald. Es war so wunderschön dort oben.
Auf dem Rückweg verliefen wir uns ein wenig, aber die Zweier-Gruppenkonstellation gab uns Sicherheit. Denn, wie wir später hörten, soll es dort oben Pumas, Jaguare und andere Wildkatzen geben. Wieder gemeinsam und fröhlich füllten wir in Quillaqollo unsere verlorenen Kilokalorien mit Piqué Macho auf. Der Aufstieg dauerte ca. 3 Stunden und 20 Minuten und davon waren ca. 2 Stunden reines Kämpfen mit der Natur. Das war ein wunderbarer Kampf.
Am 31.05.23 machte ich mich mit meinem Laborpartner und lieben Freund Frank auf unser letztes Abenteuer in Bolivien. Ein direkter Bus aus Cochabamba fuhr uns in 11 Stunden in die Eiseskälte nach Salar de Uyuni. Wir buchten sofort einen Ausflug und warteten im einigermaßen warmen Café auf die Guides. Als erstes besuchten wir den Zugfriedhof; dann ging es weiter mit dem Jeep zu der Salzwüste.
Ich machte gleich meiner Tochter nach und probierte tatsächlich das Salz von der Erde Boliviens. Nach zahlreichen Fotos wurde für uns auf dem weißen Boden aufgetischt. Wir speisten also im größten Salzstreuer der Welt. Wir hielten an einer Insel inmitten des Salzsees. Dort habe ich meiner süßen Tochter zum Kindertag eine Zeichnung im Salzboden angefertigt und als Bild geschickt. Danach durften wir selbst hinter das Lenkrad des Jeeps. Ich sauste mit mehr als 100 km/h auf der Salzpiste und freute mich wie ein Kind. Anschließend machten wir herrliche Fotos in sexy Gummistiefeln und spazierten im flachen Salzwasser.
Mit einem Glas Rotwein in der Hand genoßen wir den Sonnenuntergang auf Salar de Uyuni. Im Salzhotel bekamen wir Abendbrot und dann schliefen wir dick eingepackt in Salzbettchen ein. Nächsten Tag gab es leider kein Wasser, da die Leitungen eingefroren waren. Pech! Dafür gab es schnell was zwischen die Zähne und dann waren wir auch schon in unserem Jeep nach Laguna Colorada. Wunderschön und in einem Nationalpark gelegen, umgeben von Bergen, hat das Wasser wirklich verschiedene Farben gespiegelt. Wir haben Schwärme von Flamingos bewundert, wilde Chinchillas gesehen und sind den selten gewordenen Vikuñas begegnet. Abends durften wir dann endlich für 10 „Bolis“ heiß duschen und aßen in einem rustikal eingerichteten Lager zum Abend. In einem Schlafsaal legten wir uns dann hin.
Der letzte Tag im Süden Boliviens war angebrochen. Als erstes besuchten wir die Geysire von Sol de Mañana. Ein großes Areal von heißem, stinkendem Dampf, der in der aufgehenden Sonne einzigartig ausschaute. Zu unserer vollsten Zufriedenheit besuchten wir lange die Aguas Termales. Die durchgefrorenen Popos haben es sich verdient, in den heißen Quellen bei der tollen Kulisse zu entspannen. Laguna Verde und Laguna Bianca waren ebenfalls atemberaubend schön und das i-Tüpfelchen auf unserer Eskimo-Reise im Altiplato. Wir haben uns sooo sehr nach der Wärme gesehnt in unserem geliebten Huancarani, einer Dusche und natürlich nach unseren Freunden, dass wir nur noch nach Hause wollten. Die Ausflüge waren abenteuerreich und unvergesslich. Freiheit!
Meine Abreise - Adiós amigos!
Nach so vielen Wochen fiel es mir schwer, meine inzwischen guten Freunde zu verlassen. Natürlich freute ich mich unglaublich auf meine Tochter Gloria und meine liebevolle Familie, aber der Abschied machte mich traurig. Wir hatten über vieles gesprochen, Fröhlichkeit und Trauer miteinander geteilt. Es war einfach die perfekte Mischung. Doña Adela kochte nicht nur toll, sondern war auch für kleine Späßchen zu haben. Eines Tages verkleidete sie mich zu einer Cholita. Die zwei Zöpfe wirkten durch die spezielle Haarschnüre viel länger. Sie gab mir ihren tollen Hut und kicherte mit mir herzlich. Dann öffnete meine „Adelita“ ihren Kleiderschrank und zeigte mir die hunderten Röcke und Unterröcke, die sie besitzt. Es war so herrlich bunt und die Atmosphäre so vertraut und lustig, wie ich es mir in den ersten Tagen meiner Reise niemals hätte vorstellen können. Nun war ich ausgehfertig. Mit meiner Nachfolgerin Marlen ging ich zu der weitesten „Tienda“ des Dorfes. Ich war wirklich positiv überrascht. Alle, aber auch alle Einheimischen, die wir trafen, fanden die Aktion anscheinend sehr amüsant. Wir lachten gemeinsam den ganzen Weg hoch und runter. Mit vor Freude tränenden Augen verbeugten sich Einige und riefen „Cholita Bonita“ hinterher.
Nun war der Tag gekommen. Wir machten die letzten gemeinsamen Fotos und verabschiedeten uns. Frank und ich wurden von Henry zum Flughafen gebracht. Mein Abenteuer war zu Ende.
Adiós amigos!
Monika Mlynaczyk