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K. Boris

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Bolivia movil: 14.08. – 22.09.2017

"Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen." Bis es soweit kam, dauerte es eine ganze Weile... Bereits in meinem ersten Semester kam nach dem Besuch einer Informationsveranstaltung für Auslandsfamulaturen der Wunsch auf, einmal selbst in die weite Welt aufzubrechen und in einem Land nach Sonde und Spiegel zu fassen, in dem es ganz besonders nötig ist. Nach Abschluss des 7. Semesters begab ich mich auf Projektsuche und bekam schließlich meinen Famulaturplatz in Bolivien beim FCSM e.V.
Bereits wenige Monate später lernte ich meinen Famulatur-Kollegen Haoran (Uni Halle) auf der Infoveranstaltung für Auslandsfamulaturen beim Zahnärztetag in Frankfurt kennen. Die Chemie stimmte und ich war bereits froh, einen netten Kollegen für den sechswöchigen Aufenthalt in Bolivien zu haben.
Glücklicherweise entfällt beim FCSM jeglicher Vorbereitungsstress wie Spendensammeln in Form von Geldern oder Material. Demnach kann man sich weiterhin auf das Studium konzentrieren, bevor es auf Reisen geht. Kurz vor Abflug erhält man ein Paket mit mitzuführenden Utensilien wie Watterollen, Ketac, Polierer etc. Auch die anfallenden Übernachtungs- und Essenskosten vor Ort werden werktags durch die Organisation übernommen.
Dann ging es los: Frankfurt – Madrid – Santa Cruz (mit Air Europa). In Santa Cruz angekommen, wurde am Flughafen erst einmal eine ENTEL SIM-Karte für das Handy organisiert: 3GB und 30min Gesprächszeit sollten ausreichen (17 Euro). Jedoch Vorsicht: Das gekaufte Guthaben gilt nur für 4 Wochen. Nach Ablauf kann man mittels nahezu überall erhältlichen Nachladekarten eine neue Flatrate aufladen.
Am Flughafen der bolivianischen Hauptstadt Sucre angekommen, wurde ich durch den Organisator Ekkehard abgeholt und in die Unterkunft der ersten zwei Wochen gebracht. Dort traf ich auf meine Kollegen Haoran und Dieter (unseren ersten Team-Zahnarzt). Beim Abendessen stimmten wir uns auf die kommenden gemeinsamen Wochen ein.
Unser erster Einsatzort war eine Schule im Vorort Sucres, die wir mit öffentlichen Bussen erreichten. Unser dort aufgeschlagenes Praxis-Lager wurde morgens von 13- bis 18-Jährigen und nachmittags von 6- bis 12-Jährigen besucht. Der stete Zustrom an Patienten zeigte vor allem eines: Karies, Wurzelreste, (Milch-)Zahnruinen. Die netten Damen vor dem Schultor, welche eifrig Lutscher, Bonbons und andere Süßwaren an die Schulkinder verkauften, sorgten jedenfalls für viel Arbeit und ausgelastete Behandlungstage.
Stellten sich morgens in der Regel nur weibliche Patienten vor, so war das jüngere Publikum in der Mittagszeit deutlich durchmischter – und auch ungeduldiger: Anders als in Deutschland freuten sich die Kleinen auf einen Besuch in unserem Consultorio und drängelten regelrecht, wenn es darum ging, den Behandlungsstuhl nachzubesetzen. Sowohl bei Füllungstherapien, als auch bei Extraktionen blieben die Kinder ruhig und gefasst und ließen alles ruhig über sich ergehen. Leider war der Ansturm so groß, dass es uns selten möglich war, Komplettsanierungen durchzuführen.
In der Mittagspause begaben wir uns zumeist auf den Weg in den 10 Fahrminuten entfernten Mercado Evo Morales und besuchten während unseres Aufenthaltes jeden Comedor mindestens einmal. Jedoch gibt es auch um die Schule herum ein paar Essensmöglichkeiten – also Ausschau halten.
Nach 2 Wochen brachen wir schließlich unsere Zelte in der Schule ab, in der Gewissheit, dass in einem halben Jahr das nächste Team dort ansetzt, wo wir aufgehört haben.
Unser nächster Einsatzort befand sich 2 Stunden entfernt von Sucre in der Bergwelt Boliviens. Ziel war eine alte Hacienda namens "Pitantorilla", welche von einem Unterzeichner der bolivianischen Unabhängigkeitserklärung in Auftrag gegeben wurde und im Laufe der Geschichte zahlreiche Besitzerwechsel durchlief, bis das Anwesen schließlich in die Hände einer Kirchengemeinde aus Sucre fiel, die daraus ein Internat machte. Etwa 40 Schüler im Alter von 10 bis 18 wohnen hier und gehen im nahegelegenen Dorf wenige Gehminuten entfernt zur Schule.
Das Voluntario-Apartment teilten wir uns mit zwei weiteren jungen Deutschen, die ein FSJ vor Ort absolvierten, in der Schule die Lehrer unterstützen und nachmittags die Kinder im Internat "erinnerten", ihre Hausaufgaben zu machen.
Die Anamnesen sahen hier nicht anders aus als an unserem vorangegangenen Standort: Karies, Wurzelreste, (Milch-)Zahnruinen. Jedoch war der Patientenstrom deutlich reduzierter als zuvor. Dies lag unter anderem daran, dass die Kinder bis 13 Uhr in der Schule waren und die lokale Dorfbevölkerung zwar von unserer Anwesenheit wusste, sich aber zierte bzw. abwartete bis zur letzten Minute. Allerdings gab es auch Patienten, die sich 2 Stunden auf Wanderschaft machten, um sich aus entlegeneren Dörfern in die Hacienda aufzumachen. Nicht immer ohne Probleme: Ältere Menschen sprechen in sehr ländlichen Gebieten oftmals kein Spanisch, sondern nur die Indigenen-Sprache "Quechua". Glücklicherweise konnte uns hierbei die lokale Köchin unterstützen und übersetzen.
In unserer Mittagspause erklommen wir stets feierlich den kleinen Hausberg, um von dort aus Handyinternet zu haben und Familie und Freunden zu berichten, was man vor Ort so trieb.
Das Essensangebot in Pitantorilla ist puristisch: Morgens und Nachmittags gab es übersüßten Tee mit Brot, Mittags Reis mit Fleischbeilage und Abends eine Suppe, aus der einem ab und an Hühnerfüße zuwinkten. Im Dorf gab es eine kleine Tienda, die leider nur wenig zu bieten hat: Cola, Chips, Erdnüsse, Lutscher etc. Also empfiehlt es sich, aus Sucre noch etwas abwechslungsreiche Kost mitzunehmen, bevor man anreist – vor allem Früchte! Lagern sollte man die Ware am besten im eigenen Apartment, da die Kinder auch vor dem Kühlschrank der Küche nicht Halt machen.
Ganz besonderes Highlight war die Besteigung des nahegelegenen Cerro Obispo (3411m). Organisiert und geführt wurde die Tour durch den Lehrer „Andres“, der uns mit einigen Schülern morgens um 5 Uhr auf den abenteuerlichen (und nicht ganz ungefährlichen) Weg zur Spitze mitnahm. Nach knapp 4 Stunden Aufstieg konnten wir eine fantastische Aussicht genießen und alle Anstrengungen erstmal abfallen lassen, bevor es wieder nach unten ging. Leider war sich Andres beim Abstieg öfters mal nicht ganz so sicher, wo es langgehen sollte, wodurch wir ab und an in ziemlich heikle Situationen kamen. Glücklicherweise lief alles gut und kehrten unbeschadet wieder zurück zur Hacienda.
Währenddessen verabschiedete sich unser Teamleiter Dieter nach 3 Wochen in die Heimat und der „neue Dieter“ kam für die zweite Hälfte unseres Aufenthaltes. Das neue Gesicht überließ Haoran und mir mehr Kompetenzen und somit wurde unser neuer Zahnarzt kurzerhand zur Stuhlassistenz. Er gab uns bei der Behandlung viele Tipps und ließ uns auch einfach mal machen. Bei einigen Extraktionen und größeren Restaurationen waren wir ihm jedoch durchaus dankbar, wenn er dann lächelnd übernahm: Schließlich hat er doch mehr Praxis-Erfahrung und nicht alles ist immer so leicht, wie es scheint.
Unser letzter Einsatzort - mit dem vielsagenden Namen "Tasa Pampa" - befand sich 2 Stunden entfernt von Sucre, auf dem Weg Richtung Potosí. Der Name war Programm: Das landwirtschaftlich geprägte Dorf lag fernab der asphaltierten Straße und war nur auf einer abenteuerlichen Schotterpiste zu erreichen. Aber keine Sorge: Auch hier gab es über Internet eine Verbindung zur Außenwelt.
Untergebracht waren wir hier ebenfalls in einem kleinen Internat, welches direkt an den örtlichen Gesundheitsposten angrenzte, in dem wir unser Lager aufschlugen. Vor Ort arbeitete ein junger Arzt und eine Krankenschwester, die sich um die allgemeinmedizinische Versorgung kümmerten.
Auch hier in Tasa Pampa hielt sich das Patientenaufkommen anfangs in Grenzen. Der Bolivianer observiert erst, bevor er sich traut zu kommen. So nahm unser Arbeitsaufkommen erst nach den Tagen zu. Routinierte Anamnese: Karies, Wurzelreste, (Milch-)Zahnruinen. Zu unserer Überraschung entdeckten wir vor Ort jedoch auch zahlreiche zahnmorphologische Eigenarten und Mesiodentes.
Die Therapie sah auch hier das Übliche vor: Zahnreinigungen, Füllungen und Extraktionen. Aufgrund des großen Ansturmes in den letzten beiden Tagen mussten wir viele Patienten vertrösten, in einem halben Jahr wiederzukommen, wenn das nächste Team des FCSM vorbeischauen wird. Latinos eben – immer auf die letzte Minute.
Das Essen vor Ort wurde durch eine lokale Familie zur Verfügung gestellt. Morgens und nachmittags Brot mit Tee, mittags und abends Reis mit Fleischbeilage und gelegentlich Tomaten, Salat, Karotten und rohe Zwiebeln. Wasser hat die Gemeinde ausreichend zu bieten, jedoch gilt vor Ort: Duschen kann man nur mit kaltem Wasser und Toilettengeschäfte werden mit aufgefüllten Wasserkanistern weggespült.
Zum Abschluss unseres Aufenthaltes in Tasa Pampa duften wir noch Bekanntschaft mit der lokalen Raubwanze machen: Sie gilt als Überträgerin des Chagas-Erregers und verkroch sich unter unserer Behandlungseinheit. Wie und wann die Gute ausgerechnet in den Gesundheitsposten kam, ist unklar. Nach Rücksprache mit der lokalen Krankenschwester und den Dorfvorstehern wurde jedoch der Entschluss gefasst, unser gesamtes mitgebrachtes Material prophylaktisch dekontaminieren zu lassen, bevor es wieder in Sucre eingelagert wird.
Allerdings bestand unser Tagesprogramm nicht immer nur aus Arbeiten: Die freien Wochenenden packten wir uns voll mit Ausflügen: 2-Tages-Trek zum Vulkankrater von Maragua, Dinosaurier-Spuren von Niñu Mayu, Sucre mit seinen Sehenswürdigkeiten wie die Casa de la Libertad, die Entrada de la Virgen de Guadalupe und weitere Dinosaurierspuren in Cal Orcko. Gleichfalls beeindruckend war ein Wochenende in Potosí, an dem wir in die Silberminen des Cerro Rico hinabstiegen und dort eine Dynamitsprengung hautnah miterleben durften oder zum Thermalsee "Ojo del Inca" fuhren. Besonderes Highlight war jedoch die Mountainbike-Fahrt auf der Death Road bei La Paz, die ihrem Namen wirklich alle Ehre macht(e).
Nach dem Abschluss der Famulatur machten wir uns noch auf in den Salar de Uyuni für eine 3-Tagestour (einer der Hauptattraktionen Boliviens!), bevor sich die Wege unseres Teams trennten. Für mich ging es im Anschluss noch auf Entdeckungsreise in Paraguay – und von dort aus hieß es letztlich wieder: Asunción – Madrid – Frankfurt...
Boris K.
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