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Füssl, Laura

Erfahrungsberichte > Archiv
Bolivia movil, 5.-23. September 2016
Anm.d.Red.: Diesen ersten Absatz hatte Laura eigentlich an das Ende ihres Berichtes gesetzt. Da er in knappster Form ausdrückt, was viele Voluntarios erleben, erlaube ich mir, ihn voran zu setzen:
 
Meine Zeit in Bolivien war sehr intensiv und lehrreich. Die eine oder andere typisch bolivianische Eigenart werde ich bestimmt nicht vergessen. Den Wassermangel, die Kälte im Dorf, die kaputten Fenster und das eintönige Essen werde ich nicht vermissen. Trotzdem bin ich mit überwiegend positiven Erfahrungen und äußerst interessanten Erlebnissen mit den Menschen und der Kultur Boliviens nach Hause gekommen. Die Zurückhaltung der Bolivianer und deren dennoch freundliche Art empfand ich als sehr angenehm. Zurück in Deutschland, sehne ich mich bei der einen oder anderen Kinderbehandlung nach einem bolivianischen Internatskind, mit dreckigen Füßen in Sandalen aus Autoreifen, einer ehemals weissen Bluse mit Spuren der letzten Jahre und einer Riesen-Rotzglocke, das sich brav auf den Behandlungsstuhl setzt und alles über sich ergehen lässt, nur um am Ende eine Zahnbürste zu bekommen.
 
Und hier der ganze Bericht:
Von Wüste bis Regenwald über Bergriesen bis hin zu urzeitlichen Dinosaurierspuren,

Bolivien ist ein sehr vielfältiges Land. Immer mehr wanderlustige Trekking-Touristen erschließen die andischen Hochebenen. Für mich als Voralpenländerin folglich das perfekte Reiseland. Doch diesen Urlaub wollte ich, anders als üblich, mit Arbeiten anstatt mit großen Trekking-Touren verbringen.
Sobald ich den Entschluss gefasst hatte, eine zahnärztliche Famulatur im Ausland zu absolvieren, schrieb ich verschiedene Organisationen an. Anfangs wollte ich meinen Auslandseinsatz zusammen mit einem Freund und ehemaligen Kommilitonen realisieren. Deshalb schrieb ich in unserer beider Namen. Ekkehard hatte uns umgehend geantwortet, zugesagt und alle nötigen Informationen zukommen lassen. Leider musste meine Reisebegleitung dann kurzfristig absagen. Da ich sehr ungern alleine reise, wollte auch ich meine Zusage zurückziehen.  Ekkehard konnte meine Bedenken nicht nachvollziehen. Glücklicherweise hat er mir einen kleinen Tritt verpasst und mich von meinem Einsatz überzeugt. Rückblickend danke ich ihm sehr dafür!

Ich hatte Ekkehard zwei Monate vor Reisebeginn definitiv zugesagt und mit meiner Reiseplanung begonnen. Zunächst organisierte ich meinen Flug. Ein äußerst netter Herr aus einem Südamerika-Reisebüro hatte mir einen Flug mit Air Europa empfohlen. Dieser sollte von München über Madrid nach Santa Cruz (Bolivia) und von dort nach Cochabamba gehen. Ich vertraute dem Rat des Reisebürokaufmanns und buchte den Flug. Wie sich später herausstellen sollte, war die Reiseroute zwar optimal, nur die Fluggesellschaft würde ich zukünftig meiden. Für eine „Billig-Airline“ war der Flug ziemlich teuer und alles andere als komfortabel.
Der Abflug rückte immer näher und ich musste mich noch um meine Versicherungen (Auslandskrankenkasse und Berufshaftpflicht), den Antrag für den Reisekostenzuschuss und die Impfungen kümmern. Da ich Hepatitis A und B, Typhus, Polio, Diphtherie, Tetanus und Tollwutimpfungen hatte, ließ ich mich nur noch gegen Gelbfieber und Meningokokken impfen.
Anfang September war es dann soweit. Ich ging in München an Board und kam nach gut 15 Stunden reiner Flugzeit in Cochabamba an. Das Paket mit den Spenden konnte ich problemlos in meine Tasche packen. In Santa Cruz musste ich diese allerdings komplett ausräumen. Aber als der Herr vom Zoll die beigelegten Zertifikate und Briefe von Ekkehard sah, durfte ich alle Materialien wieder in meiner Tasche verstauen und diese für den Flug nach Cochabamba einchecken.

Nun ist es so, dass in Bolivien während des gesamten Jahres zahlreiche Feste stattfinden Es wird gern, ausgelassen und vor allem häufig gefeiert. So auch an dem Tag meiner Ankunft, am nationalen Tag des Fußgängers (Día Nacional del Peatón). An diesem Tag ist die Benutzung von Kraftfahrzeugen auf allen Straßen untersagt. Auch Überlandfahrten im Bus und Taxifahrten innerhalb von Städten sowie in Privatfahrzeugen sind nicht erlaubt. Lediglich autorisierte Taxifahrer dürfen Reisende von den diversen Flughäfen abholen. Ekkehard, Roland und seine Frau Thika hatten mich am Tag meiner Abreise auf diesen Feiertag hingewiesen und mir per Email geschrieben, wie ich mich zu verhalten habe. Ich bin dann mit einem Flughafentaxi zum Hostel Jaguar House (Zentrum von Cochabamba) gefahren und habe dort ein Zimmer für den kompletten Tag gebucht. Ein recht nettes Hostel, das ich durchaus empfehlen kann. Ich verbrachte 12 Stunden auf meinem Zimmer, auf der Fiesta und dem Berg der Christo Statue. Abends fuhr ich dann mit dem FCSM-Taxi zum Consultorio nach Huancarani.
Dort angekommen wurde ich vom Rest des Teams herzlich in Empfang genommen und bei einem gemütlichen Abendessen über die kommenden drei Wochen und unseren Aufenthaltsort aufgeklärt. Marina und Elina wurden für das Consultorio in Huancarani eingeteilt. Anselm, Iris und ich sollten, gleich am nächsten Morgen, mit dem Minibus nach Arque aufbrechen.

Die Provinz Arque liegt auf bis zu 4.500 Metern Höhe in den bolivianischen Anden. Von Huancarani aus sind wir etwa vier Stunden mit einem Minibus in der Dunkelheit durch eine stark zerklüftete Berglandschaft und das trockene Flussbett des Río Arque bis zur Provinzhauptstadt getingelt. Mit uns im Bus saßen bolivianische Familien. Männer, Frauen und Kinder, die in den typischen, bunten bolivianischen Tragetüchern schliefen. Sie waren auf dem Weg zur Arbeit. Viele Familien leben an den Wochenenden in Cochabamba und sonntags oder montags pendeln sie dann einige Stunden zu ihren Arbeitsstellen.
In Arque hat uns Padre Pablo äußerst nett empfangen und reichlich bekocht. Gegen Mittag wurden wir, die mobile Einheit und alle nötigen Behandlungsmaterialen mit einem PickUp abgeholt und über eine steile Sandstraße in ein kleines Dorf namens Ovejeria gebracht. In diesem Dorf gab es lediglich ein paar kleine Häuser und ein kirchliches Internat. Wir wollten nun in den kommenden drei Wochen alle Internatskinder untersuchen, mit einer Zahnreinigung und gegebenenfalls mit Füllungen und Versiegelungen versorgen. Nicht erhaltungswürdige Zähne sollten gezogen werden.
Untergebracht wurden wir in einem Häuschen, welches aus einem Bad und drei kleinen Zimmern bestand. In einem Zimmer konnten wir schlafen, die Küche wurde zu unserem Consultorio umfunktioniert und das dritte Zimmer nutzen wir als Abstell- und Rückenübungsraum. Wie sich bald herausstellte, wurde es nachts sehr kalt. Wir versuchten, unsere Fenster, deren Scheiben teilweise gesprungen waren, mit Unicef-Decken abzudichten. Iris und ich schliefen mit allen Kleidungsstücken, die wir in unseren Rucksäcken finden konnten.

Wir starteten unseren Tag mit einem spartanischen Frühstück, erwärmten das Behandlungswasser auf dem Gasofen und die extrem kalten Anästhesie-Carpulen in der Sonne oder in die Nähe das Ofens. Dann kümmerten wir uns um Einheit, Steri und die Behandlungstrays. Gegen 8 Uhr fingen wir mit der Behandlung an.
Gut 90 Schüler stellten sich uns vor. Wir wechselten uns mit der Zahnreinigung, der Behandlung und der Assistenz ab. Recht schnell stellte sich heraus, dass wir ein super Team waren und so 6-8 Schüler am Vormittag und dieselbe Anzahl am Nachmittag behandeln konnten. Einige von ihnen hatten perfekte Zähne,  bei anderen hingegen waren Füllungen oder Extraktionen nötig. Größtenteils verliefen die Behandlungen problemlos. Nur wenige Kinder hatten unglaubliche Angst und wollten sich partout nicht behandeln lassen. Viele mussten ein oder zweimal wieder kommen.
Es beeindruckte mich sehr, dass achtjährige Kinder bis zu drei Stunden vor unserer Türe standen, um behandelt und dann mit einer Zahnbürste und einer Pasta belohnt zu werden. In Deutschland kann man viele Kinder nicht einmal mit Dingen aus der Schatzkiste begeistern.

Mittags pausierten wir für zwei Stunden. Von 14:00 bis 18:00 Uhr behandelten wir nochmals. Danach wurde es schlagartig dunkel und wir konnten mit unserer Beleuchtung nicht weiter arbeiten. Mittag- und Abendessen erhielten wir zusammen mit den Internatskindern. Hauptsächlich bestanden diese aus einer Suppe, deren Inhalt sich, getreu nach dem Motto „never change a running system", die kompletten drei Wochen kaum veränderte. Vermutlich tat er das auch sonst nicht.
Wir saßen alle zusammen in einem großen Raum und starteten jede Mahlzeit mit einem kurzen Gebet. Wir drei großen und äußerst hellhäutigen Gäste waren natürlich eine unglaubliche Attraktion. Den Schülern fielen unzählige Fragen ein. Woher wir kommen, welche Sprache man in Deutschland spricht, ob das denn auch Castellano wäre. Ob wir immer Zahnärzte sind oder auch mal etwas anderes arbeiten, ob Kinder in Deutschland auch zum Zahnarzt gehen und wieso wir hier her gekommen sind und warum wir schon bald wieder fahren.
Wir wurden die kompletten drei Wochen bestens versorgt. Profesora Alejandra, Elisabeth, der Musiklehrer und der Hausmeister unterstützten uns hervorragend.
Nach und nach hatte sich herumgesprochen, dass in Ovejeria drei deutsche Zahnärzte „Tapas“ (Füllungen) legen und schmerzende Zähne entfernen. Es reisten immer mehr Patienten aus der Umgebung an. Winzige Omas in bolivianischer Tracht kamen über die Hügel der Hochebene, um uns von ihren Leiden zu erzählen. Letzteres war nicht immer einfach. In Bolivien gibt es etwa 40 Ethnien, die 35 Sprachfamilien angehören. Die zwei größten ethnischen Gruppen sind die Quechua und Aymara. Die Landbevölkerung in Ovejeria, auch Kinder bis zur ersten Klasse, sprechen ausschließlich Quechua. Glücklicherweise hatten wir Alejandra, die uns stets als Dolmetscherin zur Verfügung stand.
An den Wochenenden wurde das Internat geschlossen. Die Kinder liefen Freitag-Mittag in die umliegenden Dörfer oder fuhren mit uns in einem museumsreifen Bus über sandige Serpentinen und das Flussbett des Rio Arque Richtung Cochabamba. Wir erholten uns dann in Huancarani. Einmal konnte ich zusammen mit Iris den Toro Toro-Nationalpark besuchen. Dort erwarteten uns faszinierende Landschaften, Berge und Canyons, ein tolles Höhlensystem mit Stalagmiten und Stalaktiten und „original“ Dinosaurierspuren. Da ich nur drei Wochen in Bolivien war, konnte ich leider nur diesen einen Ausflug unternehmen.

Sonntags fuhren wir dann wieder zurück ins Internat.  

Meine Zeit in Bolivien war sehr intensiv und lehrreich. Die eine oder andere typisch bolivianische Eigenart werde ich bestimmt nicht vergessen. Den Wassermangel, die Kälte im Dorf, die kaputten Fenster und das eintönige Essen werde ich nicht vermissen. Trotzdem bin ich mit überwiegend positiven Erfahrungen und äußerst interessanten Erlebnissen mit den Menschen und der Kultur Boliviens nach Hause gekommen. Die Zurückhaltung der Bolivianer und deren dennoch freundliche Art empfand ich als sehr angenehm. Zurück in Deutschland, sehne ich mich bei der einen oder anderen Kinderbehandlung nach einem bolivianischen Internatskind, mit dreckigen Füßen in Sandalen aus Autoreifen, einer ehemals weissen Bluse mit Spuren der letzten Jahre und einer Riesen-Rotzglocke, das sich brav auf den Behandlungsstuhl setzt und alles über sich ergehen lässt, nur um am Ende eine Zahnbürste zu bekommen.
Laura Füssl
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