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Adler, Herbert 19

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Huancarani 15. Februar bis 30. März 2019
Nach 2016 und 2018 war ich nun im Februar und März 2019 zum dritten Mal in Huancarani und habe mit einem mir schon lange bekannten Zahntechniker, Ha-Jo, zusammengearbeitet. Als Spezialist für Kunststofftechnik war er für die Herstellung der von den Patienten von Huancarani begehrten „Placas“ eine Idealbesetzung.
Dieses Mal wollte der Zoll doch den Inhalt des ungewöhnlichen Pakets mit dem Destilliergerät (für aqua dest.) sehen. Nach einer Diskussion über das Gerät, der Vorlage der Gerätebeschreibung und vor allen Dingen des Certificados konnte ich die Halle verlassen und wurde schon von Ekkehard, der jungen Kollegin Maria und Adelas Sohn als Chauffeur erwartet. Besonders herzlich wurde ich wieder von Doña Adela begrüßt und freudig in den Arm genommen.
Auf dem Gelände der Pirwa hat es nach längerer Zeit Verbesserungen gegeben: Es wurden im Eingangsbereich Limonenbäume gepflanzt, die schon kleine Früchte trugen. Die Einfahrt ist jetzt gepflastert und der Schattenplatz an der Mauer mit glatten Steinen wie eine kleine Terrasse gestaltet. Aber in der Kaffeepause unter dem Schatten spendenden Baum aufgepasst! Im (bolivianischen) Herbst fallen kleine ca. 5mm große längliche Gebilde in das Getränk, vielleicht durch das Koffein oder die Temperatur des Kaffees schon tot, da sie sich nicht bewegen? Entwarnung! Es sind keine Insekten, sondern ganz kleine Blattbestandteile. Also die Untertasse draufstellen!
Hinter dem Pirwa-Gebäude wurde von Don Felipe ein mannshoher Ofen zum Verbrennen von Papier gebaut, ebenfalls von ihm ist ein zweiteiliges Kompost-Silo mit den geschätzten Maßen 1,50 mal 3 Meter gemauert worden. Es soll für eine Übergangszeit auch noch ein Gestell für leere Glasflaschen gebaut werden, bis die Gemeinde ein Recyclingsystem eingerichtet hat. Das kann bei der Trägheit der Behörden allerdings noch lange dauern.
Erfreulich dagegen ist, dass Doña Petri, die „Chefin“ des Minimercado, leere Bierflaschen zurück nimmt, was uns sehr entgegenkam! Darüber hinaus fiel bei uns nur gelegentlich ein Marmeladenglas oder mal die eine oder andere Flasche Wein an. Apropos Marmeladengläser: Leere Gläser an Thika Patzi oder ihre Mutter Janine Hinojosa, Leiterin der Sprachschule, (zurück)geben! Sie können sie gut gebrauchen, denn sie kochen schmackhafte Birnen- und auch andere Marmeladen (alles Bio).
Leider wurde ich diesmal zu Beginn meines Aufenthaltes mehr als eine Woche lang von Montezumas Rache heimgesucht, die erst nach zweimaligen Konsultationen und Untersuchungen in einem Krankenhaus in Cochabamba (Clinica Los Olivos) und entsprechenden Medikamenten endlich behoben war. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Maria und Ekkehard, die mich in dieser Zeit gut unterstützt haben.
In diesen Tagen hat mich Doña Adela, die gute Seele des Hauses, mit der einen oder anderen Schonsonderkost verwöhnt. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch die Tipps von Janine Hinojosa für solche Fälle, z.B. eine Tasse Bouillon, heiß und in kleinen Schlucken genommen, dazu Kekse (ohne Zucker).
Wie schon früher geschrieben, sind unsere Patienten allesamt sehr dankbar und zufrieden mit unserer Arbeit und wissen das Qualitätsniveau der „Dentistas Alemanes“ zu schätzen. So waren wir fast jeden Tag voll ausgelastet, weil wir auch „Placas“ anbieten konnten. In den Fällen kam uns die „Sala de Limpieza“ (das Prophylaxezimmer neben dem Behandlungszimmer) zugute, das wir immer wieder für Zahnersatz-Behandlungen wie Abdrucknahmen, Bissnahmen und Einproben parallel zum Hauptbehandlungszimmer nutzen konnten.  
Einzelne Patienten kamen sogar aus Cochabamba und es kam im Gegensatz zu früher öfter vor, dass Patienten mit dem Auto vorfuhren. Manchmal standen sogar zwei Fahrzeuge vor dem Tor. Im Übrigen sind aber unsere Patienten ganz überwiegend Indígenas aus der Umgebung und der armen Bevölkerungsschicht zuzuordnen, was auch ganz unserer Vereinssatzung entspricht. Die nur Quechua Sprechenden werden normalerweise begleitet von Verwandten, die ins Spanische übersetzen können.
Genervt hat uns die Einstellbarkeit der Rückenlehne des Behandlungsstuhls. Das lag an dem unzuverlässig funktionierenden Taster des Fußschalters. Nachdem ich abends einen anderen nicht benötigten Taster verlötet und an der Stelle eingebaut hatte, konnten wir die Rückenlehne wieder optimal einstellen.
Die beiden Sterilisatoren (Heißluft- und Dampf) funktionierten einwandfrei. Nach Reparatur des alten, größeren Kompressors durch ein Dentaldepot wurde auch der kleinere endlich mit einem dreipoligen Stecker, mit automatisch öffnenden Kondenswasserabscheider, mit neuen Druckluftschläuchen und Patentkupplungen versehen. Ab jetzt gibt es also in Huancarani einen gut funktionierenden Kompressor und einen kleineren bei Ausfall des großen, aufbewahrt im Depósito im 1. OG. Dieser soll zweimal pro Woche für ein paar Minuten in Betrieb genommen werden. Im Notfall muss man also nur den Ersatzkompressor runter tragen, einen Druckluftschlauch umstecken und den Stecker in die neue, geerdete Steckdose einstecken. Übrigens kann man im Falle eines Stromausfalls – was sehr selten vorkommt – mit einer Stirnlampe längere Zeit weiter behandeln, da die Einheit druckluftgesteuert ist.
Die freien Wochenenden nutzten wir für Ausflüge mit Flugzeug oder Bus (längere Strecken mit Schlafbussen „Cama-Bus“ nachts, mit nur drei Sitzreihen und fast mehr Platz als in der 1. Klasse eines Flugzeugs).
Dieses Mal hat es uns zweimal in den Süden gezogen, zum einen mit „Cama“-Bus in die alte Hauptstadt Sucre, wo sich allerdings nur noch der Verfassungs-Gerichtshof befindet, sämtliche anderen Behörden sind in La Paz, in der De-Fakto-Hauptstadt.
Das alte spanische Zentrum von Sucre ist in einem rechteckigen Raster im Kolonialstil erbaut und ist als ganzes Weltkulturerbe mit seinen zahlreichen Plätzen, Kirchen, Klöstern, ehemaligen Regierungsgebäuden. Am Samstagabend hat Ekkehard uns drei, Maria, Ha-Jo und mich, sowie die beiden Teams von Bolivia movil, die an diesem Wochenende in Sucre angekommen waren, in ein Steak-Restaurant eingeladen. Dort wurden wir sehr gut verköstigt und haben uns mit den anderen Voluntarios gut unterhalten können.
Der zweite Ausflug noch weiter in den Süden ging diesmal mit einem Inlandsflug nach Tarija (nur 1.900 m ü. M.), landschaftlich und klimatisch sehr angenehm. Die Stadt ist gepflegter als andere Städte und die Menschen im Süden hier haben einen eher argentinischen Einschlag. Tarija liegt in einem Weinbaugebiet, in dem vor allem zwei ausgewanderte deutsche Winzer den Weinanbau vorangebracht haben (Kuhlmann und Kohlberg). Auf einer gebuchten 5-stündigen Info-Tour haben wir drei Kellereien und Destillerien (mit Weinproben) besichtigt, deren Weine sich durchaus auf dem Weltmarkt behaupten könnten. Ein besonderes Produkt ist der  Weinbrand „Singani“, Destillat aus der Traube „Muscat von Alexandria“.
Mit viel Muße haben wir am Sonntag die Stadt Tarija angeschaut, wie alle Städte mit ihrem   Charme des Kolonialstils, den Kirchen und den palmenbestandenen Zentralplätzen, bevor wir wieder nach Cochabamba zurückflogen.
Am Freitag vor meiner Abreise nach Peru, konnten wir mit unserer Nachfolgerin Irene nach ihrem Kurs in der Sprachschule „Runawasi“ die Praxisübergabe vornehmen. Die persönliche Übergabe ist von großem Vorteil und sehr zu empfehlen. Denn viele Fragen zu Arbeitsabläufen, Geräten und ggf. begonnene ZE-Behandlungen können direkt besprochen und gezeigt werden. Zusätzlich sollen natürlich immer die schriftlichen Hinweise, Gerätebeschreibungen, Behandlungsrichtlinien des FCSM „studiert“ werden.
Nach meinem Voluntario-Einsatz habe ich noch eine Woche in La Paz, Puno am Lago de Titicaca, Cuzco und als besonderen Höhepunkt in Machu Picchu verbracht. Für La Paz wurde mir das im Zentrum (Calle Colombio) gelegene Hostal „Onkel Inn“ empfohlen, was für die Stadtbesichtigungen zu Fuß einen guten Stützpunkt darstellt, auch wenn man für den Aufstieg vom Prado aus eine Verschnaufpause einlegen muss. Von Flughafen El Alto nimmt man am besten zuerst ein Taxi bis zur Bergstation der Teleférico „Linea Morada“. Hier kann man sich schon einen Stadtplan mit den verschiedenen Seilbahnen holen. Nach einmaligem Umsteigen ist man an der „Talstation“ direkt im Zentrum. Sehenswert ist das Museo de Arqueología Bolivia, mit Stoffen, Keramiken, Schmuck, rituellen und Gebrauchsartikeln aus der Inka- und vor allem der Tiwanaku-Kultur. Beeindruckend war für mich ebenfalls eine Führung durch die Iglesia San Francisco, dem zugehörigen Kloster und Museum und Besteigung des Daches der Kirche mit herrlichem Blick auf das Zentrum der Stadt mit der Plaza San Francisco. Dort treten schon nachmittags bis zum späten Abend Jongleure, Breakdancer, Gaukler, Clowns und Heilsverkünder auf. Der Platz bietet auch oft den Rahmen für Konzerte und Kundgebungen. Shoppen kann man in der Fußgängerzone „Comercio“ zwischen der Plaza P. Velasco und der Iglesia Merced, wo ich ein Paar Schuhe erstanden habe. An dieser Straße liegt auch die Plaza Murillo mit der Kathedrale, dem nationalen Kongressgebäude und dem alten Regierungssitz, hinter dem sich ein neues Hochhaus für die Regierung erhebt mit Hubschrauberlandeplatz on top für den Präsidenten. Für den zweiten Tag habe ich eine Bus-Exkursion zu den Ruinen von Tiwanaku gebucht, einer großflächigen archäologischen Ausgrabungsstätte aus der Zeit von 1000 v. Chr. bis 1000 n. Christus, mit einer großen Tempelanlage und Sonnentor, außergewöhnlichen Steinmetzarbeiten, menschenartigen Monolithen (Schöpfergott Wiracocha?) und den Resten einer 18 m hohen stufenförmigen Pyramide. Für den größten der drei Monolithen mit einer Gesamthöhe von 7,50 m wurde extra ein Museum gebaut, um ihn vor Witterungseinflüssen zu schützen.
Die nächste Station war Puno am Titicacasee im Süden Perus, wo im Hafen unzählige Boote liegen für die Überfahrt zu den Schilfinseln der Uros. Ganz nett, gezeigt zu bekommen, wie die Menschen früher auf den selbst geschaffenen Inseln gelebt haben. Die Bootsführer, die in der Nebensaison unbedingt Tickets verkaufen wollen, sind recht aufdringlich und die Fahrten und die Souvenirangebote sehr kommerzialisiert.
Noch am selben Abend habe ich einen komfortablen Nachtbus nach Cuzco, dem Zentrum des alten Inkareiches, gebucht. Dort habe ich zwei Nächte bei Ludwig Roth verbracht. Der Unterfranke betreibt seit 20 Jahren sein „Hostal Frankenstein“ in der Calle San Juan de Dios # 260, ganz zentral. Er ist Hobby-Botaniker (das ganze Haus ist innen grün von den verschiedensten Pflanzen aus dem Regenwald), hält die Zimmer und die Bäder sehr sauber und hat mir jede Menge Tipps und Infos über Cuzco, die Umgebung von Cuzco und über Ausflüge nach Machu Picchu gegeben. In der Zeit zwischen Weihnachten und Ende März ist es allerdings geschlossen.
Da ich nun ein wenig bequem wurde und für meine letzten Tage auf (Termin-)Sicherheit gesetzt habe, buchte ich für Machu Picchu in einer Agentur gleich nebenan ein Komplettangebot mit Taxi nach Ollantaytambo (von Cuzco aus fährt kein Zug mehr Richtung Machu Picchu), die Fahrt mit den komfortablen neuen Zügen der Machu-Picchu-Train-Eisenbahngesellschaft nach Aguas Calientes, Übernachtung in Aguas Calientes (heute heißt es oft „Pueblo Machu Picchu“), Busfahrt von A.C. hoch nach M. P. und Eintritt incl. Führer. Mit der Entscheidung, erst um 12 Uhr (dem 2. Besichtigungskontingent) die Anlage zu betreten, hatte ich Glück, denn die Nebelschwaden und Wolken verzogen sich zeitweise. So gelangen mir doch viele Fotos mit etwas Sonne. Nach der Führung konnte ich mich weitere zweieinhalb Stunden in der großen, hoch in den Bergen versteckten Festungsanlage frei bewegen, die zu Inkazeiten aufgrund der landwirtschaftlich genutzten Terrassen sogar autark gewesen sein soll.
Nach zwei Flügen, Cuzco – La Paz, La Paz – Cochabamba, und einer letzten Nacht in unserem Appartement ging es über Santa Cruz, Madrid und Zürich wieder in die alte Heimat.
Wenn man zurück nach Europa kommt, dürfte wohl die größte Umgewöhnung sein, wenn man auf der Toilette sitzt und vergeblich rechts oder links einen Eimer für benutztes WC-Papier sucht.
Alles in allem war es für mich wieder ein befriedigender, erlebnisreicher Einsatz im Sinne von „Zahnmedizin für Lateinamerika“ verbunden mit weiterem Kennenlernen von Land und Leuten. Immer wieder bewundere ich die Geduld der Bolivianer, wenn sie beispielsweise von 10 Uhr an über die Mittagspause bis nachmittags auf ihre Behandlung warten und sich danach dankbar und öfters auch mit einer Umarmung verabschieden. Auch die Herzlichkeit von Dona Adela und das fast familiäre Verhältnis zu ihr und ihrer Familie hat mich wieder begeistert. Ein solcher Einsatz lohnt sich immer.
Dr. Herbert Adler
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