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Werner, Britta

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Magisches Bolivien – Zwischen Kultur und Karies 24.08.-18.09.2015
4 Wochen Famulatur in Bolivien – Angefangen in Sucre, der Hauptstadt, mit meinem Kommilitonen und Boxparnter Kai und der Ärztin Mila. Frisch geimpft und gut bepackt,  sind wir gewappnet... und das Reisefieber wächst.
Schon am Abend ging es von Sucre mit dem Pickup los. An Bord zwei Trolleys mit Turbine, Winkelstück und Sprayvit als mobile Einheit, ein Behandlungsstuhl und zahlreiche Kartons beladen mit Anästhesie und Kunststoff sowie Füllungszubehör, Instrumenten und eigenem Steri.
Die ersten 2 Wochen: Untergebracht wurden wir in einem Haus in Zudañes. Um falsche Vorstellungen zu vermeiden: Ja es ist ein Dach über dem Kopf, aber außer Bettgestellen mit mehr oder weniger durchgelegenen Matratzen gab es nichts. Nur ein Bad mit Toilette, Waschbecken und Dusche waren in einem kleinen Hinterzimmer zu finden. Duschen ist dabei in ganz Lateinamerika ein Erlebnis, denn das Wasser wird durch einen elektrisch betriebenen Duschkopf beheizt. Oft ungesichert und ohne Erdung. Letztlich geht es aber immer gut und der Stromschlag bleibt aus. Ein bisschen Abenteuer darf ja nicht fehlen. Frühstück gab es in den Schulen, in denen behandelt wurde.  Pan (Brot) steht auf dem Menü. Gebacken oder frittiert - wobei es in Lateinamerika wohl alles in frittierter Ausgabe gibt. Hierzu trinkt man typischerweise Api, ein dickflüssiges Heißgetränk aus Mais, Gewürznelken und Zimt oder heiße Milch mit darin aufgekochtem Reis.
Die ersten kleinen Patienten lugten dabei schon meist sehnsüchtig und neugierig um die Ecke.
Unser erstes Ziel ist eine Schule in Chuquisaca. Dort angekommen wird die Montags Zeremonie abgehalten, bei der alle Kinder auf dem Pausenhof mit gehisster Flagge singen und die Ankündigungen für die Woche stattfinden - dort werden auch wir vorgestellt, bevor wir die Tore unserer mobilen Praxis erstmalig öffnen.
Das Behandeln macht Spaß! Ein großartiges Gefühl helfen zu können, und kaum woanders findet man Menschen, die so dankbar sind! Festzustellen, dass der Beruf, den man ausübt, überall auf der Welt so gebraucht wird, tut gut. Von 8:00 bis oftmals 18:00 Uhr war der Patientenfluss nicht zu stoppen und selbst dann konnten wir kaum allen gerecht werden.
Stark zuckerhaltige Getränke ersetzten oft den Mangel an Nahrungsmitteln  und fehlende Versorgung mit Zahnpflegeprodukten bringen selbst Minderjährige zu Karies zerklüfteten Gebissen, bis hin zur Zahnlosigkeit.
Problem des Landes: Zahnärzten fehlt das Material. Kunststoff und Instrumente sind rar.
Oft werden Zähne einfach nur gezogen, woher der Name „sacar-muelos“ stammt: „Die Zahnzieher „
Was mir auch aufgefallen ist: das Schönheitsideal, was Zähne betrifft, ist anders. Gold ist absolut angesagt. Kronen aus Gold im Frontzahnbereich ebenso wie Sterne, Herzen und Monde gelten als stylisches Accessoire. Oftmals mussten wir entsprechende Wünsche abschlagen, denn in der Beziehung hatten wir nur zahn-farbende Füllungen  im Repertoire.
Almuerzo – das Mittagsessen. Gemeinsam mit den Kindern haben wir Reis mit Kartoffeln oder Nudeln gegessen. Dazu, ab und an, Dosengemüse oder ein Spiegelei. Gerne aber eben auch das in Südamerika allseits beliebte Pollo (Huhn). Jedoch ist Huhn nicht gleich Huhn - in Fifty Shades of Grey: fritiert, gebraten, gekocht, picante oder Milanesa. Jeder bekommt einen Teller und setzt sich zu Tisch. Gegessen wird immer gemeinsam und erst nach dem Tischgebet.
Gestärkt geht es für uns danach immer in die nächste Behandlungsrunde. Meist hat sich schon eine kleine Traube Kinder vor der Tür gebildet. Unser Kommen ist eine kleine Sensation. Trotz eventueller Schmerzen, die befürchtet werden, sind wir gern gesehene Gäste, die wie kleine Helden gefeiert und mit Essen versorgt werden. Es gibt auch Zahnbürsten oder die ein oder andere Zahnpasta von uns geschenkt. Besonders die knalligen, bunten Farben sind der Hit. Jeder darf auch gerne einmal die „richtige“ Putztechnik am Plastik Gebiss üben. Schließlich ist Prävention unsere besonders wichtige Mission.
Generell haben wir während unseres Einsatzes versucht Zähne konservierend zu versorgen. Auch 3-4 Endos konnten wir durchführen. Vor allem bei zerstörten 6ern von noch sehr jungen Patienten, um diesen den Erhalt eines kompletten Gebisses zu gewähren. Tief zerstörte Zähne bei Schmerzpatienten haben wir dann extrahieren müssen. Gelernt habe ich hierbei mehr als in 4 Jahren Studium, womit für mich die Famulatur als absoluter Erfolg und Zugewinn gilt.
Unser nächstes Ziel, in der zweiten Woche, war dann ein in den Bergen gelegener Ort. Sayanchaca.
Die Fahrt dahin war eine Erlebnisreise. Nicht alle Reifen waren immer sicher auf dem Bergpfad. Die Sicherheit des Fahrers lies uns aber unbesorgt sein.
Absolut der schönste und erfolgreichste Einsatz unserer Reise, wie ich finde. Zusammen mit dem Ärzteteam aus dem Hospital in Zudañes zu arbeiten, war für mich das Größte. Nicht nur fachlicher, sondern auch kultureller Austausch. Gemeinsam arbeiten, Wissen austauschen und dabei Freundschaften schließen, die auch noch zurück in Hamburg über Whatsapp weiterleben.
Angespornt durch den Neuzuwachs an Ärzten und neuen Inspirationen, haben wir in wenigen Tagen eine ganze Schule dental versorgt. Am Mittagstisch wird schon gescherzt und gelacht und zahnmedizinisch gefachsimpelt. Sprache ist hier keine Barriere mehr und es wird sich gleich auf das ein oder andere Cervesa (Bier) in Zudañes verabredet - schließlich trinken die Deutschen doch eh nichts anderes?!
In der 3. Woche verlassen wir Zudañes. Ein weit abgelegenes Dorf auf einem Plateau in den Bergen ist unser Ziel. Touristen 
gibt es hier keine mehr. Genau das macht die Erfahrung so einzigartig. Original und unverfälscht.  Wir kommen diesmal in Räumen einer Schule zum Schlafen unter. In dieser Schule behandelten wir und zusätzlich in einer Schule in Mojacoja. In diesem Dorf kam schon Che Guevara unter, zu seiner Zeit.
Hier werden wir auch von einer bolivianischen Ärztin begleitet: Marion. Einen Tag sogar im „Odontomobil“. Von der Regierung hat jede Communidad ein nagelneues, glänzendes Mobil gestellt bekommen mit Röntgengerät, Stuhl und High-Tech Behandlungszimmer. Wir kamen aus dem Staunen kaum heraus. Definitiv etwas für zukünftige Famulaturen! (Anm.d.Red.: Leider stehen diese Odontomobile meist monatelang herum und werden nicht eingesetzt!)
Die letzte Woche waren wir dann in Sucre. Im Hostel zu schlafen erschien uns auf einmal wie Luxus. Allerdings behandeln wir nun in einer Institution für Kinder, die Weisen sind oder einmal eine Straftat begangen haben und jetzt in dieser Art „ Jugendgefängnis“ mit gepflegter Lebensweise, Essen und Dach über dem Kopf eine zweite Chance bekommen. Leider kamen kaum Patienten zu uns und wir wurden auch weniger herzlich aufgenommen.
Am letzten Tag besuchten wir daher die zahnmedizinische Fakultät in Sucre. Die ersten Studenten kommen uns schon am Tor in weißer Kleidung und Haarnetzen entgegen. Im ersten Stock befindet sich die Kons. In den Behandlungssälen herrscht geschäftiges drunter und drüber. Davor bersten die Wartezimmer vor Patienten aus ärmeren Schichten, die auf 
ihre Behandlung warten. Ein kleines Labor mit Trimmer und Brenner ist in einem Hinterzimmer zu finden. Begrüßt werden wir durch einen freundlichen, älteren Zahntechniker, der Aufsicht führt über eifrig aufwachsende Studenten. Im oberen Stockwerk gibt es einen Raum für KFO und Kinderzahnheilkunde.  Auch hier drängen sich die bolivianischen Zahnmedizinstudenten um zahlreiche im Raum aufgestellte Stühle. Eine nette Dame an der Ausgabe  beobachtet dabei mit strengem Auge das Treiben. Nebenan befindet sich ein Röntgenraum, sogar OPGs können hier mit einem guten Sirona Gerät gemacht werden.
Ein seltsames Gefühl – es ist absolut erschreckend genau so wie bei uns. Auf der anderen Hälfte des Erdballs. Alles anders und doch so gleich.
Beschwingt von so viel Vertrautem und einigen geknüpften Kontakten geht unsere Famulatur zu Ende.
Es war eine einzigartige Zeit, die einen wachsen lässt. Nicht nur in der Behandlungsroutine, sondern auch menschlich, durch das Erleben von so viel Armut und doch so ergreifenden Herzlichkeit der Menschen. Um viele Erfahrungen reicher und mit tausend Bildern im Kopf von einem so magischen und faszinierenden Land wie Bolivien geht es zurück in die Heimat.

Britta Werner
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