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Tanner, Nadin

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El Villar, Sommer 2013:
Zusammen mit Marcel und Lorenz durfte ich vom 15. August bis 23. September 2013  eine wunderschöne Zeit in Bolivien verbringen. Unser Arbeitseinsatz dauerte insgesamt vier Wochen. Zum Schluss gab es als Belohnung noch ungefähr eine Woche Touristenprogramm, unter anderem mit Minenbesichtigung und Salzsee.
Angekommen in Santa Cruz wurden wir sofort herzlich begrüßt. Nacira, eine Nichte von Max Steiner ist nicht nur, wie wir im weiteren Verlauf unserer Reise feststellen sollten, ein Organisationstalent, sie spricht auch perfekt deutsch. Dies war für unser anfangs etwas unsicheres Spanisch und zur Beantwortung der vielen Fragen, was uns in den nächsten Wochen hier so erwarten wird, natürlich perfekt.
Unser Ankunftstag fiel genau auf den letzten Tag der Freiwilligen, die gerade ein freiwilliges soziales Jahr in Bolivien verbracht hatten. Trotz Jetlag und 26-stündiger Reise ließen wir es uns natürlich nicht nehmen, an ihrem Abschiedsfest teilzunehmen. Max Steiner lud uns alle in ein sehr schönes Restaurant direkt an der Plaza ein und im Laufe des Abends konnten wir so langsam erahnen, was in den nächsten Wochen alles auf uns zukommen wird. So hatten wir bereits den einen oder anderen Tipp bekommen.
Am nächsten Vormittag ging es auch schon wieder weiter mit einem Inlandsflug nach Sucre. Transport und Flug wurde natürlich alles perfekt von Nacira organisiert. Das Hostel in Sucre leitet Arturo, ein Schwager von Max Steiner. Auch Arturo ist im Gegensatz zu den meisten anderen Bolivianern sehr zuverlässig und plante zusammen mit Ekkehard unsere erste Arbeitswoche in Sucre.
Marcel und ich durften beim Militär arbeiten. In Bolivien besteht allgemeine Wehrpflicht. Oft kommen die Jungs aus sehr armen Gegenden vom Land und müssen zum Teil parallel zum Wehrdienst noch in die Schule gehen oder Geld verdienen. Die meisten sind vierzehn bis zwanzig Jahre alt. Schnell mussten wir lernen, dass in Bolivien Zahnbürsten keine Selbstverständlichkeit sind und die Wenigsten wissen, wie man sie benutzt. Bei den meisten Soldaten gab es mehr Behandlungsbedarf als wir schaffen konnten. Auch das Wartezimmer war von morgens bis abends jederzeit gut gefüllt.
In der ganzen Woche hat uns genau ein Patient besucht, der noch ein voll bezahntes Gebiss besaß. Wir haben hauptsächlich konservierend gearbeitet und Zahnreinigungen gemacht. Wenn Patienten Schmerzen hatten auch extrahiert. Mit Extrahieren waren wir jedoch insgesamt etwas zurückhaltender und haben immer wenn möglich lieber Füllungen gemacht, da dies für die Menschen in Bolivien wichtiger ist. Das Problem in Sucre ist nicht, dass es keine Zahnärzte gibt, denn gefühlt jedes zweite Haus ist eine Zahnarztpraxis. Viele Menschen können sich jedoch keinen Arztbesuch leisten und ein allgemeines Kassensystem gibt es nicht. Außerdem fehlt es den Ärzten oft an Materialien, so dass sie selbst zahlenden Kunden keine Füllungen anbieten können. Daher sind Extraktionen die von ihnen am meisten praktizierte Behandlungsmethode.
Unser Arbeitsalltag beim Militär sah in etwa wie folgt aus: Morgens wurden wir immer von einem General im Hostal abgeholt und mit seinem Jeep in die Kaserne gefahren. Tagsüber hat ein vom Militär angestellter Arzt unsere Patienten organisiert und alles koordiniert. Mittag essen durften wir im Militärkasino und abends hat uns der General wieder ins Hostal gefahren. Insgesamt kann man sagen, dass alle Leute in der Kaserne sich sehr um uns bemüht und gut gekümmert haben. Auch die Soldaten waren für unsere Behandlung sehr dankbar.
Am Wochenende ging es dann etwas weiter aufs Land und zwar nach El Villar. Hier sollten wir die nächsten Wochen verbringen. Nach achtstündiger Busfahrt, die uns immer mehr in die Pampa brachte und bei der wir irgendwann mitten in der Nacht unser Ziel erreichten, waren wir natürlich sehr gespannt, was uns am nächsten Tag bei Helligkeit so erwarten würde.
Vorab möchte ich jedem, der in Zukunft im August hierher kommen wird, raten, wirklich warme Sachen mitzunehmen. Nachts sind der Boden und die Scheibe in unserem Zimmer eingefroren und tagsüber hat die Temperatur in unserem Behandlungszimmer nicht mehr als acht Grad erreicht.
Doch nun zu unserer Arbeitswoche in El Villar. Hier gibt es ein Hospital, welches auch einen eigenen Zahnarzt und einen Zahnarztstuhl besitzt. Der Zahnarzt hat aber nicht so viel Lust zu arbeiten und vergnügte sicher daher lieber mit den Krankenschwestern während wir gearbeitet haben. Unsere Ankunft wurde zwar im Radio angekündigt, da die Bolivianer aber wissen, dass man sich in ihrem Land nicht so auf Ankündigungen und Versprechungen verlassen kann, hat es etwas gedauert, bis sich rumgesprochen hat, dass wir wirklich da sind und die ersten Patienten kamen. Da mittlerweile schon einige Teams des FCSM in den letzten Jahren hier waren sind einige Leute recht gut versorgt. Ich hatte den Eindruck, dass es dadurch aber auch viele nicht richtig zu schätzen wissen, was wir für sie tun, und sich am Ende von der Behandlung nicht mal bedanken oder tschüss sagen. Was selbst für zahlende Patienten in Deutschland eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist.

Doch trotzdem gab und wird es auch weiterhin hier viel zu tun geben. Unter anderem, da die Leute einfach nicht aufgeklärt werden. Auf unsere Erklärung, dass Cola schlecht für die Zähne sei und sie lieber Wasser trinken sollen, fielen die meisten Patienten aus allen Wolken. Auch unsere Zahnputz-Übungen waren bei den meisten Patienten dringend nötig. Die meisten Jugendlichen besitzen noch nicht einmal eine Zahnbürste und sagen, dass ihre Eltern kein Geld hätten, eine zu kaufen. Andererseits haben sie aber perfekt mit Gel gestylte Haare und topmoderne Klamotten. Da fragte man sich manchmal, wo die Prioritäten liegen.
Nach einer Woche Akklimatisation in El Villar haben wir in den nächsten Wochen die umliegenden Dorfgemeinschaften besucht. Hier sahen die Arbeitsbedingungen etwas anders aus. Strom wurde oft nur für uns mittels eines Generators erzeugt (der jedoch nicht so zuverlässig funktionierte), das Wasser war braun, und behandeln mussten wir auf Holzstühlen im Kindergarten oder in der Schule. Auch die bolivianische Lebensweise sollten wir in dieser Zeit noch etwas näher kennen lernen. Absprachen wurden in den meisten Fällen nicht eingehalten, Abfahrtsuhrzeiten stimmten generell nicht, und wenn irgendwas nicht funktionierte oder kaputt war, wurde nicht probiert, etwas daran zu ändern, sondern einfach mal abgewartet. Am Ende dieser Wochen konnten wir die Worte „tranquila, tranquila“, was auf Neudeutsch ungefähr so etwas bedeutet wie „chill, chill“ nicht mehr hören.
Aber schlussendlich haben wir auch diese Wochen mit viel Spaß und Freude hinter uns gebracht und gelernt, dass Aufregung in den meisten Fällen einfach nichts bringt, sondern einfach Ruhe bewahren und mal abwarten. In den meisten Fällen klappt es dann auch mit dieser Methode ganz gut, auch wenn man es als Deutscher eigentlich nicht für möglich hält. Ich glaube, in Deutschland wird uns auf jeden Fall in nächster Zeit erst mal nichts so schnell aus der Fassung bringen, wie es vielleicht vor Bolivien der Fall gewesen wäre.
Auf die Problematik mit der Hostel- Familie in El Villar will ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen, da diese bereits von Marcel und Lorenz in ihren Berichten beschrieben wurde und ich mich ihnen nur anschließen kann.
Die letzten Tage reisten wir, wie anfangs bereits gesagt, noch ein bisschen rum, was ich jedem nur empfehlen kann, da wir in dieser Zeit noch mal einen ganz anderen Eindruck bekommen haben und eine weitere Seite dieses vielfältigen Landes kennen lernen konnten.
Insgesamt hatte ich in Bolivien eine sehr schöne Zeit und konnte viele interessante Erfahrungen sammeln. In zahnmedizinischer Hinsicht haben wir sicher mehr Routine bekommen und gelernt, dass man sich oft auch mit ganz einfachen Mitteln helfen kann und nur ein bisschen kreativ sein muss. Außerdem haben mich viele Leute in diesem Land begeistert und bleibende Eindrücke bei mir hinterlassen. Ich denke noch oft an einige Gespräche und Momente während dieser Zeit zurück. Also falls ihr euch eine Famulatur in Bolivien überlegt- ich kann es jedem nur empfehlen!
Vielen, vielen Dank an den FCSM, Max Steiner und Ekkehard für die tolle Zeit, welche ich sicher nicht so schnell vergessen werde!
Nadine Tanner
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