Mittag, Jan-Hendrik Huancarani
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Huancarani, 16. Oktober - 7. Dezember 2016
Im Anschluss an meinen Einsatz in Guadalupe entschied ich mich
noch längere Zeit in Südamerika zu
bleiben, um auch das Projekt in Huancarani kennenzulernen und den Menschen in Bolivien
helfen zu können. Bereits vor meiner Ankunft wusste ich, dass sich das
zahntechnische Labor erst wenige Monate im Einsatz befand und Huancarani noch
ein Projekt im Aufbau sei - aber eben diese Vorraussetzungen machten mich sehr
neugierig.
Das Terminal in Cochabamba erreichte ich mit dem Bus in
morgendlicher Dämmerung. Meine Ankunft war bereits von Ekkehard angekündigt und
so genügte ein kurzes Telefonat mit Ronald und mir wurde ein kostenloses Taxi
organisiert. Wer sich etwas über die Anreise informiert und keine Scheu hat die
örtlichen Verkehrsmitteln zu benutzen, kann Huancarani aber auch einfach und
zügig selbstständig erreichen.
Schließlich angekommen, empfing mich Doña Adela, eine herzliche
Bolivianerin, die sich in Huancarani schier unermüdlich um jegliche Anliegen
und Aufgaben kümmert. Sie reinigt die Räumlichkeiten des Consultorios und
versorgt uns täglich mit zwei warmen Mahlzeiten. Sie ist unsere
Ansprechpartnerin bei Fragen und hat immer einen guten Rat.
In der liebevoll eingerichteten Wohnung für uns Voluntarios
bezieht jeder sein eigenes Zimmer und man hat stets die Möglichkeit sich
zurückzuziehen. Der gemütliche Gemeinschaftsbereich hingegen lädt zum Verweilen
ein. Gleichzeitig tauscht man hier Erfahrungen und Erlebtes aus und kurzerhand
formt sich ein gutes Team für die folgenden Wochen. Es sollte erwähnt sein,
dass in Bolivien das Wasser in jener Region sehr knapp ist und insbesondere
tägliches Duschen oder Wäsche waschen nicht möglich ist. Aber wenn man in einem
Entwicklungsland helfen möchte, sollte man sich ohnehin darauf einstellen, dass
nicht alles wie bei uns in Deutschland funktioniert.
Das Labor ist bereits nach der kurzen Zeit des Bestehens
hervorragend ausgestattet und selbst für einen möglicherweise geplanten zweiten
Arbeitsplatz fehlt nicht viel. Benötigte Verbrauchsmaterialien habe ich in den
kleinen Dentaldepots in Cochabamba selbst besorgt, was für mich einen ganz
besonderen Charme hatte. Aus Deutschland kenne ich nur die Variante "Online
bestellen und liefern lassen" - also gänzlich unpersönlich.
Gasflaschen kann man direkt in Huancarani bekommen und falls neuer Gips
benötigt wird, wendet man sich an Ronald.
Die Arbeit im Labor ist ansonsten sehr mit jener in Ecuador zu
vergleichen und auch hier versuchen wir die Interimsprothesen für die Patienten
so komfortabel und ästhetisch wie möglich zu gestalten. Während meines
Aufenthaltes in Bolivien konnte ich einmal mehr sehen wie wichtig unser
Engagement dort ist, wenn Patienten schließlich mit ihren neuen Prothesen und wiedererstarktem
Selbstbewusstsein das Consultorio verließen.
Meines Erachtens ist der Prothesenbedarf in Bolivien aber
deutlich höher und Interimsprothesen sind leider auch schon bei ganz jungen
Patienten notwendig. In kürzester Zeit sammelte sich so während meines
Einsatzes lauter Arbeit an und in meinen letzten zwei Wochen war ich damit
beschäftigt alle Prothesen rechtzeitig zu meiner Abreise fertigzustellen. Außer
Reparaturen konnten wir kaum noch Arbeit annehmen, da das Labor im Anschluss an
meinen Einsatz beinahe drei Monate unbesetzt blieb. Natürlich fragen die
Patienten auch in Bolivien vor größeren Eingriffen, ob prothetische
Versorgungen im Anschluss möglich seien und umso wichtiger ist es, dass auch
das Labor lückenlos mit einem Techniker besetzt ist, um notwendige Behandlungen
nicht zu verschieben beziehungsweise zu verzögern.
Bereits seit meinem Einsatz in Ecuador, wusste ich, dass in
Südamerika noch viele Menschen Quechua oder andere indigene Sprachen sprechen.
Allerdings trifft man sie in Ecuador seltener oder sie sind bilingual und
sprechen auch Spanisch. Die Kinder lernen es hingegen kaum noch. In Huancarani
passiert es hingegen häufig, dass Patienten ihre Kinder mitbrachten, die uns
die Anliegen ihrer Eltern oder Großeltern ins Spanische übersetzten oder wir
Doña Adele als Übersetzerin benötigten. Ein Dorfleben, so wie ich es auch
Guadalupe kannte, gab es in Huancarani hingegen kaum und so verbrachte ich mehr
Zeit mit den anderen Voluntarios in unserer Unterkunft oder unternahm Ausflüge
an den Wochenenden.
Nach meinem Einsatz halte ich die Einschätzung, dass es sich in
Huancarani um ein Projekt im Aufbau handelt für mehr als Bescheiden.
Insbesondere Ekkehard Schlichtenhorst leistet hier tolle Arbeit und lenkt das
Projekt sowohl aus Deutschland sowie vor Ort und ist stets für uns Voluntarios
erreichbar. Sämtliche Abläufe sind gut dokumentiert und beschrieben, alles
funktioniert reibungslos und im Labor fehlt es schon jetzt an nichts.
Für mich war die Arbeit in beiden Projekten eine unglaubliche
Erfahrung und ich bin dankbar dafür, dass ich die beiden Länder auf diese Art
kennenlernen konnte. Ich hoffe schon jetzt ganz bald wieder in Richtung
Südamerika unterwegs zu sein.
Jan-Hendrik Mittag