Sonnenschein, Charlotte
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Huancarani, 03. Februar - 06. März 2020
Nach vier zähen Monaten und etlichen Prüfungen im Staatsexamen, wurde mein Fernweh und der Wunsch nach einem längeren Auslandsaufenthalt immer größer. Gleichzeitig wollte ich gerne diesen Auslandsaufenthalt mit einer Famulatur im Rahmen eines sozialen Hilfsprojekts verbinden.
Über eine befreundete Kommilitonin erfuhr ich von der Organisation FCSM – dem Förderkreis Clinica Santa Maria e.V. Sie berichtet noch heute von ihrem wunderbaren Aufenthalt in Ecuador für den FCSM und weckte in mir große Neugier für dieses Projekt. Um in Ecuador als Zahnärztin tätig sein zu dürfen, werden zwei Jahre Berufserfahrung vorausgesetzt. Da ich dies als „frisch approbierte“ Zahnärztin noch nicht vorweisen kann, fiel daher die Wahl auf das zahnmedizinische Projekt in „Huancarani“ in Bolivien. Mir gefiel die Tatsache, dass man dort als frisch approbierte Zahnärztin mit einem erfahrenen Zahnarzt gemeinsam behandeln darf und erhoffte mir dadurch zusätzlich eine vielseitige Lernerfahrung.
Ich beschloss kurzerhand eine Anfrage für Februar 2020 an den FCSM zu schicken. Bereits wenige Stunden später erhielt ich eine positive Rückmeldung von Dr. Ekkehard Schlichtenhorst, dem Organisator des FCSM. Es stellte sich heraus, dass er selbst im Februar vor Ort tätig sein werde und noch dringend eine/n weitere/r Zahnarzt/ärztin suche.
Dank der strukturierten und organisierten Planung und stets zeitnahen Rückmeldungen von Ekkehard[1], spielte sich die Organisation für meinen Aufenthalt in Huancarani innerhalb weniger Tage ab – es musste schließlich schnell gehen, denn es war bereits Mitte Dezember 2019.
Während ich noch einiges Organisatorisches zu erledigen hatte, (Umzug aus Studienort Witten, Impfungen, Auslandsversicherung, Kreditkarten, etc.) verging der Januar wie im Fluge und meine Reise rückte immer näher.
Am 01.02.2020 war es dann schließlich soweit und das Abenteuer begann! Nach einem Zwischenstopp in Madrid, landete ich nach einigen Stunden in Santa Cruz in Bolivien. Dort konnten Ekkehard und ich uns persönlich kennen lernen und den langen Aufenthalt vor Ort überbrücken. Nach einem weiteren Flug kam ich letztendlich in Cochabamba an, wo ich unheimlich nett von Wilfredo, dem Sohn von Doña Adela, am Flughafen empfangen wurde.
Von dort aus ging es nach Huancarani. Das Bergdorf liegt auf ca. 2.800 m Höhe und ist etwa 35 km von Cochabamba entfernt. Glücklicherweise hatte ich während meines gesamten Aufenthalts keine größeren Probleme mit der Höhe. Durch die Höhenluft verspürt man Kurzatmigkeit und gelegentliche Kopfschmerzen, die sich bei mir aber im Rahmen hielten.
Da ich zum Ende der Regenzeit anreiste, durfte ich ein unheimlich grünes Huancarani kennen lernen. Die umliegenden Berge sowie die Natur strahlten und ermöglichten einen tollen Ausblick.
Nach einem sehr herzlichen Empfang von Doña Adela und den Volontären Patrik und Laura, wurde mir die Unterkunft gezeigt. Die beiden Volontäre hatten zuletzt das Consultorio Dental betreut und wiesen mich in die ersten Abläufe ein.
Doña Adela ist die gute Seele des Projekts in Huancarani und wohnt mit ihrer Familie ebenfalls in der Unterkunft. Sie kümmert sich liebevoll um die Volontäre und bekocht alle mit leckerem, traditionell bolivianischem Essen. Nicht nur durch ihre unglaublich herzliche, und fürsorgliche Art, sondern auch durch ihr Engagement und ihre Hilfsbereitschaft ist sie ein großer Segen für die Einrichtung und für die Volontäre. Auch ihr Sohn Wilfredo stand mir jederzeit mit Rat und Tat zur Seite, wenn ich Fragen bezüglich Bolivien oder Ausflügen hatte.
In der Unterkunft in Huancarani gibt es neben dem Consultorio Dental, der zahnmedizinischen Praxis und dem Laboratorio, dem zahntechnischen Labor, eine gut ausgestattete Wohnung für die Volontäre mit drei Schlafzimmern, Küche, Bad und Wohnzimmer. Gleichzeitig ist im Nachbargebäude eine Nachmittagsbetreuung für Schulkinder, weshalb unter der Woche ab ca. 14:00 Uhr immer etwas los ist.
Am Montag, den 03.02.2012, begann mein erster Arbeitstag. Ekkehard wies mich detailliert in die verschiedenen Abläufe, Materialien, Geräte und alles, was noch anstand, ein, sodass ich perfekt vorbereitet war für den ersten Behandlungstag. Dem hinzuzufügen ist, dass in der Praxis alles bestens mit Informationszetteln ausgestattet ist und jegliche Erklärungen an den Wänden hängen, sodass jeder Neuankömmling gut vorbereitet und eingewiesen wird.
Das Consultorio Dental ist insgesamt sehr gut ausgestattet. Ich war positiv überrascht von der Ausstattung, die man vorfindet: ein gepflegter Behandlungsraum mit Behandlungseinheit, Autoclav und Heißluftsterilisator, Röntgenraum und allen nötigen Materialien, die größtenteils von Volontären aus Deutschland mitgebracht werden.
Nichtsdestotrotz sind die Behandlungsbedingungen natürlich nicht mit den deutschen zu vergleichen und man muss in vieler Hinsicht bereit sein, Kompromisse einzugehen und zu improvisieren. In jedem Fall sollte man eine vernünftige Stirnlampe dabei haben, um stets mit ausreichend Licht behandeln zu können.
Darüber hinaus gibt es keine terminlichen Vereinbarungen für Behandlungen. Die Patienten kommen während der Öffnungszeiten vorbei und warten geduldig, bis sie an der Reihe sind. Der Patientenandrang variiert von Tag zu Tag, sodass immer unterschiedlich viel zu tun ist. Das zu behandelnde Patientenklientel reicht vom Kleinkindalter bis in das höhere Erwachsenenalter, wodurch jegliche Formen von Behandlungen notwendig werden. Die Hauptarbeit liegt in konservierenden und chirurgischen Therapien. Sobald ein Zahntechniker/in vor Ort ist, kann auch eine prothetische Versorgung erfolgen, in Form von sogenannten „Placas“ (Interimsprothesen).
Ein großes Augenmerk liegt vor allem in der Behandlung von Kindern und Teenagern, die häufig bereits in jungen Jahren entweder ein vollkommen kariöses Milchgebiss oder bereits ein zerstörtes permanentes Gebiss vorweisen. Wir behandelten unzählig viele Vorschulkinder, bei denen die sechs Jahr Molaren bereits ausgedehnte kariöse Läsionen aufwiesen – erschreckende und traurige Zustände. Vielen Patienten sind die Hintergründe meist nicht bekannt. Es fehlt die nötige Aufklärung sowohl für die Mundhygiene, als auch für die Mundgesundheit.
Darüber hinaus kommen die Patienten häufig oft von sehr weit her angereist und nehmen stundenlange „Truffi“-Fahrten auf sich, um eine kostengünstige, gute Behandlung in Huancarani zu erfahren. Sie leben meist in sehr einfachen Verhältnissen und noch traditionell , was sich vor allem in den indigenen Trachten darstellt. Es war unglaublich aufregend, diese außergewöhnliche Kultur so hautnah miterleben zu können.
In der ersten Woche assistierte ich Ekkehard und er veranschaulichte mir seine Behandlungstechniken. Ekkehard legt Wert auf eine strukturierte, zügige Arbeitsweise, die er in seinen vielen Jahren als niedergelassener Zahnarzt perfektioniert hat. Ihm war viel daran gelegen, mir diese näher zu bringen, sodass ich von seinem Erfahrungsschatz vielseitig profitieren konnte.
Nach und nach durfte ich vereinzelnd Behandlungen selber durchführen und die zuvor gezeigten Techniken durchführen. Dadurch konnte ich stetig neue Behandlungsformen ausüben und gleichzeitig meine Arbeitsweise funktionell verbessern. Die Behandlungsabläufe wurden ebenfalls immer fließender und wir arbeiteten immer besser als Team.
Besonders viel Spaß bereiteten mir die kleinen chirurgischen Eingriffe in Form von Extraktionen. Während der universitären Ausbildung hatte ich nur wenig Möglichkeit, selbst Extraktionen durchzuführen. Daher war es umso spannender für mich, nun auch chirurgisch tätig sein zu dürfen. Auch in diesem Fachgebiet veranschaulichte Ekkehard mir seine Arbeitsweisen und bereitete mich sehr gut auf die anstehenden Behandlungen vor. Bereits in der zweiten Woche extrahierte ich täglich Zähne und Wurzelreste und musste gelegentlich auch Nähte legen.
Ich hätte vorher nicht gedacht, dass mir dieses Fachgebiet so viel Spaß bereitet und nehme besonders in dieser Hinsicht sehr viel mit aus meiner Tätigkeit in Huancarani.
Schnell merkte ich, dass es von enormer Wichtigkeit ist, Spanisch sprechen zu können. Die Patienten sprechen nur Spanisch oder Quechua – mit Englisch kommt man leider überhaupt nicht weit. Ich hatte zwar Spanisch Unterricht bis zum Abitur, musste aber eingestehen, dass mein Wissen doch ziemlich eingerostet war. So lernte ich jeden Abend spanische Vokabeln und versuchte mein Wissen aufzubessern. Hinzukommend hatte ich Spanisch Unterricht bei Tikka, die ebenfalls für die Organisation tätig ist und eine fabelhafte Lehrerin war. Es war unheimlich wertvoll, mich stetig besser verständigen zu können.
Es gibt die Möglichkeit, eine Woche vor Antritt des Projekts eine gute Sprachschule in Cochabamba zu besuchen, die von Tikkas Familie geführt wird. Dies würde ich denjenigen empfehlen, die kein Spanisch sprechen.
Die ersten Wochen vergingen wie im Fluge. An den Wochenenden machten wir verschiedene Ausflüge nach Cochabamba, Sucre und Sipe Sipe; so lernte ich Bolivien immer näher kennen.
Das Land besticht vor allem mit atemberaubender und unglaublich vielseitiger Natur. Ich entdeckte das Wandern für mich und machte verschiedene Trekking Ausflüge. Vor allem die Besichtigung des Salar de Uyuni war ein unvergessliches Erlebnis. Ich bin nach wie vor beeindruckt von der Schönheit der Natur Boliviens!
In der dritten Woche reiste Werner, ein Zahntechniker aus Garmisch, an. Nun konnte ich auch die prothetischen Tätigkeiten veranschaulicht bekommen. Seit einigen Monaten war kein Zahntechniker mehr vor Ort gewesen, weshalb die Nachfrage nach „Placas“ dementsprechend groß war. Denn viele Patienten verlieren bereits in jungen Jahren einige Zähne und weisen daher beim Besuch des Conultorios meist nur noch wenige auf. Die Freude und Dankbarkeit der Patienten nach etlichen Jahren wieder annähernd normal kauen zu können wird mir für immer in Erinnerung bleiben.
Zu Beginn meiner letzten Arbeitswoche reisten Alexandra und Herbert an. Die vier Wochen Behandlungszeit mit Ekkehard waren vorüber, weshalb Herbert anreiste und ihn ablöste.
Alex ist Dentalhygienikerin und arbeitete separat im „Sala de Limpieza“. Sie übernahm den wichtigen Aufgabenbereich der Prophylaxe und betrieb viel Aufklärung bezüglich der Mundgesundheit. Eine unglaublich wichtige Aufgabe in der Kariesprävention, die dort viel mehr Anklang finden müsste.
Gleichzeitig durfte ich weitere Behandlungspraktika durch Herbert erfahren und konnte dadurch noch einmal eine andere Arbeitsweise eines ebenfalls sehr erfahrenen Zahnarztes kennen lernen.Die letzte Arbeitswoche wurde gekrönt durch ein gemeinsames Wochenende in Sucre mit allen Volontären und Dona Adela. Denn neben den Volontären in Huancarani, fand gleichzeitig ein weiteres Projekt des FCSMs in Sucre statt: Bolivia movil. Das Team um Bolivia movil, bestehend aus einer Zahnärztin und zwei Studierenden, war in verschiedenen Schulen um Sucre mit einer mobilen Behandlungseinheit im Einsatz. So verbrachten alle gemeinsam ein wunderbares Wochenende in Sucre, konnten sich näher kennen lernen und gleichzeitig konnte ich meine Zeit in Huancarani mit einem tollen Abschluss beenden.
Abschließend möchte ich mich beim FCSM und allen Beteiligten vor Ort für eine wunderbare Zeit in Huancarani bedanken! Mein fünfwöchiger Aufenthalt in Bolivien war eine unglaublich bereichernde und lehrreiche Zeit! Ich nehme sowohl fachlich, als auch in persönlicher Hinsicht viele Erfahrungen und Erlebnisse mit und werde hoffentlich noch lange davon zehren können. Es war für mich persönlich eine große Bereicherung, als frisch approbierte Zahnärztin erstmals allein praktisch tätig sein zu dürfen und im Rahmen des sozialen Projektes vielen Menschen wirklich helfen zu können. Die entgegengebrachte Dankbarkeit der Patienten wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Daher empfehle ich jedem die freie Zeit nach dem Staatsexamen zu nutzen, um selbst aktiv zu werden!
Für mich steht auf jeden Fall fest, dass dies nicht mein letzter Einsatz als Volontärin war.
Charlotte Sonnenschein
[1] Der FCSM pflegt ein familiäres Miteinander, weshalb alle Volontäre sich per Du ansprechen. Daher werden in diesem Bericht nur die Vornamen erwähnt. (Fotos: Charlotte Sonnenschein)