Grothe, Daniela
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Bolivia movil / Huancarani, 16.08.-27.09.2019
Ein Zitat von Mark Twain lautet: „Man muss reisen, um zu lernen.“ Und ich kann ihm nur zustimmen nach dieser wundervollen Reise in ein wunderschönes Land. Zu lernen kann so viel bedeuten und im Rückblick begreife ich erst, in wie vielen Bereichen ich dazugelernt und mich weiterentwickelt habe. Ich habe so viel über mich selbst gelernt, ich habe viel über Bolivien als Land gelernt, ich habe tolle Menschen kennengelernt, viele neue Erfahrungen und Fähigkeiten in der Zahnmedizin gesammelt und, und, und…
Meine Famulatur war ein unglaublich wertvoller Erfolg und die Überwindung mancher Ängste und Hindernisse absolut wert!
Ich hatte mich ca. ein Jahr vor der Abreise für das Projekt "Bolivia movil‘ beim FCSM e.V. (Förderkreis Clinica Santa Maria e.V.) entschieden, da mich Südamerika als Reiseziel immer sehr gereizt hat und ich es als eine tolle Möglichkeit sah, einen interessanten Eindruck der Gesellschaft und des Landes zu bekommen. Zuerst habe ich mich über das Kontaktformular der Homepage des FCSM e.V. beworben. Im November 2018 bekam ich schon die Zusage, aber erst im April buchte ich die Flüge, als ich wusste, dass ich nach der Famulatur noch reisen möchte und von Perú zurückfliegen.
Dann fing ich an alles andere zu organisieren und vorzubereiten. Impfungen standen an, welche man früh genug in Angriff nehmen sollte, mein Spanisch musste aufgebessert, so manche praktischen Dinge gekauft und eine spezielle Auslandsreisekrankenversicherung abgeschlossen werden, welche ich für den Famulaturzeitraum kostenlos bei der AXA bekam (in Kooperation mit der Apobank).
Glücklicherweise müssen für die Projekte vom FCSM e.V. nicht unbedingt Spenden gesammelt werden, da gezielt Dinge benötigt werden, welche den Voluntären im Voraus zugeschickt werden. Dabei handelt es sich um ca. 2-3 kg Materialien, die transportiert werden müssen. Nur für Mundschutz und Handschuhe ist jeder selbst zuständig.
Spanisch ist für Bolivien leider unabdingbar, da nur ein winziger Teil der Bevölkerung Englisch spricht und dies dann auch nur unzureichend. (Mehr Bolivianer können die indigenen Sprachen Quechua und Aymara sprechen als Englisch.) Ich versuchte mein Schulspanisch wieder hervorzukramen und mit nützlichen, zahnmedizinischen Vokabeln aufzubessern. Auch wenn es anfänglich sehr holprig mit der Kommunikation verlief, wurde es stetig besser und man lernte schnell dazu. Im schlimmsten Fall hat auch das Verständigen mit Händen und Füßen oder mithilfe eines Onlineübersetzers immer weiterhelfen können.
Sechs Wochen vor Abreise konnte ich außerdem mit meiner Bewerbung für einen Reisekostenzuschuss des DAAD beginnen. Für Bolivien für 2019 betrug dieser 1.325 € und konnte relativ problemlos mit einer Bestätigung des ZAD und weiteren Formularen mit allgemeinen Informationen über das DAAD-Portal beantragt werden. Das Geld erhielt ich schon vor dem eigentlichen Famulaturbeginn.
Ich konnte schon vorher den Kontakt zu Fabian, dem anderen Studenten unserer Gruppe, herstellen und wir konnten uns austauschen und sogar gemeinsame Flüge buchen. Am 15. August ging es vom Münchener Flughafen aus mit Air Europa los und mit zwei Umstiegen bis nach Sucre. Am Flughafen wurden wir herzlich von Ekkehard begrüßt. Kurze Zeit später kam Norman, der Zahnarzt, der die ersten drei Wochen Teil unseres Teams sein sollte, an. Wir hatten Zeit, die Stadt etwas kennen zu lernen, und Ekkehard zeigte uns den Lagerort der Instrumente und Einheiten in einem Hostel für deutsche Voluntäre, in dem wir uns auch morgens Frühstück zubereiten konnten. Geschlafen haben wir in einem Hostel zwei Straßen weiter. Kurze Zeit später traf auch das zweite Team ein. Ich teilte mir ein Zimmer mit Amira, einer gerade approbierten Zahnärztin aus Frankfurt.
Bevor es montags direkt mit der Arbeit losging, mussten erst einmal noch Instrumente gereinigt und sortiert werden. Dazu erklärte Ekkehard uns das Arbeiten in den Schulen mit den mobilen Einheiten und worauf alles zu achten ist. Den ersten Arbeitstag wurden wir mit all den Sachen zu den Schulen gefahren und nach dem Morgenappell der Schüler stellte der Schulleiter uns kurz vor und wies uns einen Klassenraum zu, den wir uns nach unseren Belangen einrichten konnten. Dann ging es auch direkt los und die Kinder wurden nach einander zu uns geschickt. Während ein Kind direkt auf der Liege untersucht und behandelt wurde, wurde mit ein oder zwei anderen Kindern Zähneputzen geübt und eventuell schon mal mit einer Zahnreinigung begonnen. Vormittags hatten die älteren Schüler Unterricht und nachmittags die Kleinen, dazwischen hatten wir anderthalb Stunden Mittagspause, in der wir uns etwas zu Essen besorgen konnten. Für das bolivianische Essen brauchten wir etwas Gewöhnungszeit. Es wurde viel frittiert und fettig gekocht, wozu es oft Reis, Kartoffeln und/oder Nudeln gab und auch Fleisch war meist unumgänglich. Man sollte etwas vorsichtig sein mit ungewaschenem oder ungekochtem Obst und Gemüse, ansonsten ist jedoch alles unbedenklich verzehrbar.
An zahnärztlichen Behandlungen bei den Schülern standen vor allem viele Füllungen und Versiegelungen an. Extraktionen wären auch viele nötig gewesen, doch waren sie oft nicht oberste Priorität oder wurden von den Kindern nicht gewollt. Die Mundhygiene der Kinder und Jugendlichen ist ganz klar katastrophal im Vergleich zum deutschen Standard. Viele haben zum ersten Mal eine eigene Zahnbürste bekommen und waren vorher noch nie in zahnärztlicher Behandlung. Süßigkeiten werden von bolivianischen Kindern in Massen konsumiert, da es zum einen überall angeboten wird, auch direkt vor dem Schulgelände, und zum anderen kein Bewusstsein für die zahnschädigende Wirkung von Zucker vorhanden ist. Dementsprechend sahen die jungen Gebisse auch aus. Wir behandelten abwechselnd und wenn Fabian oder ich mal nicht weiterkamen, stand Norman mit einigen Tipps zur Seite.
Nach Feierabend nahmen wir die kontaminierten Instrumente mit zurück zum Hostel, um sie dort im Heißluftsterilisator wieder aufzubereiten. Auch wenn am ersten Tag noch alles etwas chaotisch verlief, kam man relativ schnell zu einer Routine. Zur Schule hin und zurück fuhren wir immer mit dem Bus mit den Einheimischen zusammen. Zum Einsteigen winkt man den Busfahrer einfach heran und zum Aussteigen rief man laut nach vorne. Abends fuhren oder liefen wir meist ins Zentrum von Sucre, um dort mit dem anderen Team und Ekkehard essen zu gehen. Das Restaurantangebot in Sucres Zentrum ist einer Großstadt entsprechend vielseitig und international. Die Stadt ist gerade abends sehr belebt und es gibt viele Möglichkeiten, lecker zu essen, und das Leben der Bolivianer zu erleben. So viele Kleinigkeiten wie das Busfahren, Einkaufen oder Essengehen brachten einem das bolivianische Leben schnell näher und ich gewöhnte mich schneller als erwartet an die entschleunigende und entspannte Lebensweise. Dazu beigetragen hat zum großen Teil auch der Umstand, dass wir uns vor Ort um fast nichts kümmern mussten. Die Organisation durch Ekkehard hatte alles im Voraus schon geregelt. Für Essen und Fahrt unter der Woche erhielt jede Gruppe 1.000 Bolivianos (ca. 150 €), womit man sehr gut auskommen konnte. Am Wochenende war jeder selbst für seine Unternehmungen verantwortlich. Wir waren von Sucre aus einen Tag in den Silberminen von Potosí, sowie auf einem alten Inkatrail wandern. Man konnte sich zu niedrigen Preisen sehr gut mit den Bussen bewegen bzw. einen Guide buchen, der uns über den Trail führte und Land und Leute erklärte.
Eigentlich wären wir sechs Wochen in dem Projekt gewesen und wären nach den ersten zwei Wochen in ein nahegelegenes Dorf gefahren, um dort zwei weitere Wochen in einer Schule zu arbeiten, bevor man für die letzten zwei Wochen die Schule erneut wechselt. Da jedoch in einem anderen Projekt des FCSM e.V. in der Nähe von Cochabamba ein Zahnarzt fehlte, hatte Ekkehard uns dort eingeplant.
Er buchte den Nachtbus und zusammen fuhren wir Sonntagsabends los nach Cochabamba. Von da war es noch eine 3/4 Stunde mit dem Taxi in das Dorf ‚Huancarani‘. Das Dorf ist sehr klein und zu Fuß komplett zu besichtigen. Es gibt keine asphaltierten Straßen und Straßennamen oder Hausnummern entdeckte ich auch keine. Dafür baut die Regierung eine Eisenbahn, die am Rand des Dorfes entlang nach Cochabamba führt und bald eine schnellere aber natürlich auch teurere Alternative zu den Kleinbussen (Trufis) darstellen soll, mit denen man sich ansonsten fortbewegt und die auch wir immer nutzten, um mal im nächsten Dorf einkaufen zu gehen oder von dort Unternehmungen zu starten.
Das Grundstück, auf dem sich unser Projekt befand, liegt am Rand des Dorfes. Dort befinden sich zwei Haupthäuser. In einem befinden sich eine Kindertagesstätte und Wohnungen für Voluntäre. In dem anderen Haus liegt eine zahnmedizinische Praxis (Consultorio) mit zwei Behandlungsräumen, Röntgenzimmer und sogar einem kleinen zahntechnischem Labor. Außerdem befindet sich hier auch die Wohnung von Doña Adela, in der sie mit ihren zwei erwachsenen Söhnen lebt. Doña Adela ist die Haushälterin und zuständig für alles Mögliche rund ums Haus sowie für die Versorgung der Voluntäre und die Reinigung des Consultorios. Wir bekamen bei ihr mittags und abends eine leckere warme Mahlzeit, die wir immer mit ihr zusammen in ihrem Wohnzimmer aßen. Für das Frühstück waren wir selbst verantwortlich und konnten uns dies in unserer eigenen Wohnung, über der von Doña Adela, zubereiten. Die Wohnung war sehr komfortabel mit einem schönen Bad, einem eigenen Schlafzimmer für jeden, Küche, Wohnzimmer und sogar einem kleinen Balkon.
Mehrere kleine Einkaufsmöglichkeiten fanden wir im Dorf, wo wir unser Frühstück besorgten.
Die Behandlung fanden montags nur nachmittags statt, aber an den anderen Wochentagen jeweils morgens dreieinhalb und nachmittags vier Stunden. Dazwischen hatten wir zwei Stunden Mittagspause, in der wir in der Sonne saßen, um zu lesen, durchs Dorf spazierten oder mit den drei Hunden und zwei Katzen, die auch zum Grundstück gehörten, spielten.
Es dauerte einige Tage, bis es sich herumgesprochen hatte, dass das Consultorio wieder geöffnet war. Es kamen vor allem Patienten mit akuten Schmerzen, gegen die nur noch eine Extraktion half. Beim beginnenden Befund stellten wir schnell fest, dass meistens außerdem viele Füllungen zu machen waren und die Patienten wurden dazu aufgefordert wieder zu kommen. Doch auch wenn im Consultorio die Füllungen und Extraktionen nur 10 Bolivianos kosteten (ca. 1,50 €), war es vermutlich für viele trotzdem ein Grund, sich erst bei erneuten Schmerzen wieder zu melden. Es war leider offensichtlich, dass gerade bei der ländlichen Bevölkerung das Geld sehr knapp ist und oft nur für das Allerwichtigste reicht. Viele erschienen daher auch mit nur noch wenigen bis gar keinen Zähnen mehr im Mund und fragten nach Prothesen, die wir jedoch aufgrund des Fehlens eines Zahntechnikers nicht herstellen konnten. Einige schienen jedoch auch ein Bewusstsein für ihre Zahngesundheit zu haben und kamen zur Kontrolle und Zahnreinigung, wenn auch nur sehr wenige. Das Consultorio war sehr gut ausgestattet, wodurch die Behandlungen zu deutschem Standard möglich waren. Hier konnten wir sogar Wurzelkanalbehandlungen durchführen.
Nach der ersten Woche in Huancarani war Normans Zeit leider vorbei und er wurde von Georg, einem anderen jungen Zahnarzt aus Deutschland abgelöst. Auch mit Georg war das Behandeln sehr angenehm und ich konnte einiges dazu lernen. Mit der Zeit sprach es sich auch immer mehr herum, dass wieder Zahnärzte im Dorf waren, und es kamen von Tag zu Tag mehr Patienten. Dass Georg sehr gutes Spanisch sprach, trug noch dazu bei.
Es kam vor, dass manche älteren Patienten uns in Quechua versuchten ihr Problem zu erklären und tatsächlich nur wenig bis kein Spanisch sprachen und verstanden. Dann fand sich jedoch immer jemand, der für uns übersetzten konnte.
Einer der Höhepunkte war im Dorf das dreitägige Fest zur Dorfgründung, dass auf dem kleinen Platz vor der Dorfkapelle stattfand. Huancarani besitzt eine eigene Musikkapelle und dazu mehrere Tanzgruppen. Den ganzen Tag wurde Musik gespielt und getanzt und vor allem abends war es ein großes Fest. Ich war erstaunt, wie nett uns die Bolivianer empfingen und uns Maisbier und sonstiges anboten und danach sogar zu sich nach Hause einluden, um weiter zu tanzen und zu feiern.
Das nächste Wochenende unternahmen wir zu dritt eine dreitägige Kurzreise in den Regenwald nach Villa Tunari. Es ist beeindruckend wie nah die verschiedenen Vegetationszonen beieinander liegen, wenn man bedenkt, dass wir in drei Stunden Autofahrt von 2.500 m am Rand der östlichen Kordilleren auf 300 m in den Regenwald fuhren.
Von Huancarani aus ließ sich außerdem Cochabamba besuchen, sowie eine nahe gelegene Inkastätte und es war möglich, ein paar der nahen Gipfel zu besteigen. Daher unternahmen wir auch eine kleine Trekkingtour mit einem Guide auf einen 5.030 m hohen Gipfel, den Cerro Tunari, mit einer unfassbaren Aussicht, für die sich der doch sehr anstrengende Aufstieg überaus lohnte.
Leider ging auch unsere Zeit in Huancarani zu Ende und nach einem traurigen Abschied vom Consultorio und vor allem von Doña Adela, begannen für mich noch zwei Wochen Reisezeit, bevor ich von Lima aus zurückflog.
Ich bin aus Bolivien zurückgekehrt mit einer großen Menge neuer Erfahrungen, deren Gewicht ich vielleicht immer noch nicht vollständig begreifen kann. Ich habe dort neue Motivation gesammelt für mein Studium und habe mich nochmal neu orientieren und mir wieder sicherer werden können, weshalb ich überhaupt Zahnmedizin studiere. Dass es die Möglichkeit gibt, in diesem Feld zu famulieren, finde ich sehr bereichernd und ich kann es jedem nur empfehlen, dies zu nutzen. Ich habe fest vor, als approbierte Zahnärztin noch mehr Länder auf diese Art zu bereisen, um so viele bereichernde Begegnungen mit Menschen und fremden Kulturen zu machen, die meinen Horizont in allen Bereichen erweitern.
Ich kann allen Beteiligten nur herzlichen danken, die dafür gesorgt haben, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Ich hatte immer ein tolles Team, um mich herum und habe mich zu keiner Zeit unwohl oder einsam gefühlt. Ich danke vor allem Dr. Ekkehard Schlichtenhorst, dass er mit so viel Mühe und Herzblut, diese Projekte betreut und versorgt! Ich hoffe, es werden noch viele Ärzte, Studenten und Zahntechniker in Zukunft die Möglichkeit haben daran teilzunehmen.
Daniela Grothe