Brandes, Dieter 2
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Bolivia movil vom 14.8.2017 bis zum 1.9.2017
Die Anreise Wachtberg-Bonn-Frankfurt-Panama-Sta.Cruz-Sucre war problemlos. Das erstaunlichste daran war die Tatsache, daß die deutsche Bahn tatsächlich pünktlich in Frankfurt ankam.
Die Unterkunft in Sucre während der ersten zwei Wochen war einfach aber zweckmäßig; leider jedoch in unmittelbarer Nähe zum Busbahnhof, was außer zu starker Lärmbelästigung ab ca. fünf Uhr morgens auch zu der Erfahrung führte, daß die deutsche Diskussion über Feinstaub und Stickoxide doch sehr hysterisch geführt wird. Es sei allen empfohlen, mal ein paar Tage nach Bolivien zu fahren, das erspart hier zu hause später einiges an Aufregung. Leider gab es in der von uns bewohnten Pension keinerlei Essen und auch keinen Zugang zu etwa heißem Wasser oder einem Kühlschrank, so daß das selbstbereitete Frühstück 400 m entfernt in einer ehemaligen Jugendherberge eingenommen werden musste, in der jetzt ein gutes Dutzend deutscher Volontäre auf ihr freiwilliges soziales Jahr vorbereitet wurden. Diese waren über unsere zeitweise Anwesenheit nicht durchweg erfreut, waren aber zur Zeit meines Frühstücks in der Regel noch nicht wach, so daß es kaum Kontakte gab.
Die mit mir arbeitenden Studenten Haoran und Boris, achtes und neuntes Semester abgeschlossen, kann ich gar nicht genug loben. Nicht nur, daß sie sehr gute theoretische Kenntnisse haben, die meinen häufig überlegen waren (manches Detail vergißt man doch im Laufe der Jahre), sie sind auch manuell geschickt, von schneller Auffassungsgabe und drücken sich nicht vor der Arbeit. So hat es nach abendlichem Arbeitsende nie gedauert, bis der Arbeitsplatz sauber und aufgeräumt war. Sollte ich später einmal einen neuen Zahnarzt suchen, so ließe ich mich bedenkenlos von ihnen behandeln, was mehr könnte ich sagen? Daß ich die Extraktionen der in der Regel tiefzerstörten Zähne lieber selbst vorgenommen habe, soll dazu kein Widerspruch sein.
Der Einsatzort während der ersten beiden Wochen befand sich in einer Schule, die von Fé y Alegría, einer kirchlichen Organisation geführt wird und die in einem Vorort von Sucre liegt. Knapp eine halbe Stunde Fahrt von unserer Unterkunft entfernt ist es eine gut geführte und saubere Schule, auf der im Schichtbetrieb vormittags die Oberschüler und nachmittags die Klassen 1-6 unterrichtet werden. In beiden Gruppen sind die Zahnbefunde sehr verschieden. Neben durchaus vorhandenen naturgesunden oder sanierten Gebissen, die nur eine Zahnsteinentfernung brauchen, finden sich Gebisse, in denen schon im Alter von acht Jahren die 6er nicht zu erhalten sind, da sie bis auf Gingivaniveau zerstört sind. Der Konsum von Süßigkeiten ist bei den Kindern enorm, besonders Dauerlutscher erfreuen sich großer Beliebtheit und sind gleich von dem Tor der Schule billig zu haben, wenn nicht sogar die Hausmeisterin der Schule damit ihr Gehalt aufbessert. In dieser Hinsicht ist in Bolivien noch viel Aufklärung nötig, was in der kurzen Zeit aber nicht machbar ist. Die Schüler nehmen Hinweise eher hin und stecken den Lutscher danach wieder in den Mund, da nützt auch die Ansprache in meinem spärlichen Spanisch nichts. Immerhin hatten wir in den zwei Wochen kaum Leerlauf, konnten also einiges an erhaltenswerten Zähnen retten.
Am ersten gemeinsamen Wochenende gab es einen Wanderausflug in der Nähe von Sucre über zwei Tage, wobei ich in der Höhe von über 3.000 m, in meinem Alter und mit meiner unzureichenden Kondition schon einigermaßen an meine Grenze gekommen bin. Sport sollte man eigentlich doch vermeiden.
Am zweiten Wochenende wurden die Sehenswürdigkeiten in und um Sucre erkundet. Dazu war während der Woche keine Zeit, denn die tägliche Arbeitszeit ging bis etwa Sonnenuntergang, so dass Museen, Kirchen und andere Sehenswürdigkeiten schon geschlossen waren.
Nach zwei Wochen Behandlung im Colegio Gualberto Paredes, der Name der Schule für die, die sie auf Google maps suchen wollen, gab es einen Umzug in ein Internat mit 37 Schülern etwa eine Fahrstunde von Sucre entfernt. Bedauerlicherweise gab es zuvor kaum Informationen über den neuen Einsatzort, was dazu führte, daß wir etwas unvorbereitet dort gelebt haben. Eine Stunde klingt nicht viel, kann in Bolivien aber ziemliches outback bedeuten. Jedenfalls gibt es in Pitantorilla, so der Name des Ortes, keinerlei Versorgung; der einzige „Laden“ führt nichts außer Süßigkeiten (s.o., was die Gewohnheiten der Kinder betrifft). Selbst das Wasser in Flaschen, das für die mobile Einheit benutzt werden soll, mussten Boris und ich auf einem dreistündigen Fußmarsch heranschaffen, meine Kondition hatte sich doch schon gebessert. Jedenfalls sah sich die Leitung des Internates nicht in der Lage, innerhalb von drei Tagen dieses Wasser zu besorgen, was mit dem durchaus vorhandenen Wagen in 20 Minuten erledigt gewesen wäre. (Nachtrag: der Direktor in der Schule in Sucre hat nicht einen Moment gezögert, uns persönlich zum nächsten Elektofachgeschäft zu fahren, als wir dort in der ersten Woche einen Kabelbruch an der mobilen Einheit hatten).
Die Unterkunft in P. war brauchbar, sogar mit warmer Dusche, wir teilten sie mit zwei jungen Damen aus Deutschland, die erst wenige Wochen dort waren und noch ein ganzes Jahr in der Einöde bleiben sollten, ohne daß ihre Aufgaben wirklich festgelegt waren. Irgendwas wie Englischunterricht und Hausaufgabenhilfe waren die Prioritäten. Das Jahr wird aber noch lang, alles Gute, wenn Ihr das hier zufällig lest.
Die Verpflegung dort ist eher spärlich, morgens ein trockenes Brot mit einer Tasse übersüßtem Kaffee, mittags fleischlastig, was für Leute wie mich, die Fleisch vermeiden, wo es geht, eher schwierig ist, und abends ein Schüsselchen Suppe, z.T. mit Hühnerfüßen, ohne Getränk. Der mir nachfolgende Kollege, der mich in P. ablösen sollte, den ich aber wegen meiner Abreise nicht mehr getroffen habe, hat sich hoffentlich mit ein wenig Vorrat eingedeckt.
Die Behandlung war anders als in Sucre von Leerlauf bestimmt. Vormittags hatten wir fünf Patienten, nicht am Tag, sondern insgesamt in der ganzen Woche, und auch nachmittags sind nur wenige Schüler zur Behandlung gekommen. Es ist für mich fraglich, ob sich diese Woche gelohnt hat. Die Bewohner der Dörfer waren jedenfalls informiert, daran kann es nicht gelegen haben, daß fast niemand gekommen ist.
Ein besonderes highlight war das Klettertraining, das Haoran und Boris dreimal täglich auf sich genommen haben. Nur auf halber Höhe des Berges hinter dem Internat gab es mobilen Empfang, und da die jungen Leute heutzutage ohne Telefon nicht leben können, hatten sie ausreichend Höhentraining und Gelegenheit, bei der Behandlung nicht verbrauchte Energie loszuwerden.
Nach einer Woche in P. war meine Zeit abgelaufen, ich hoffe, mein Nachfolger hatte einen guten Einstieg. Die Rückreise nach Hause war ebenfalls problemlos, aber mit über 40 Stunden doch arg lang.
Fazit: wer Bolivien nicht gesehen hat, sollte das dringend nachholen, auch wenn das Land anstrengend sein kann und für deutsche Augen, Ohren und Nasen ungewohnt.
Dieter Brandes