Schönduve, Alexandra
Erfahrungsberichte > Archiv
Bolivia movil (29.2.-31.3.2017)
Nach 4 Jahren straffen Studiums wurden Viktoria und ich vom Fernweh und dem Wunsch nach mehr praktischer Erfahrung gepackt. Was würde sich besser eignen, als eine Famulatur im Ausland?
Also begannen wir uns bereits im November 2015 über Auslandsfamulaturen in Südamerika zu informieren. Schnell erwies sich dabei das Projekt „Bolivia movil“ als unser Favorit und auch die erste Kontaktaufnahme mit Ekkehard gestaltete sich unkompliziert. Allerdings fehlte zu diesem Zeitpunkt noch der uns betreuende Zahnarzt. Nach einem halben Jahr aktiver Hilfe durch Familie und Freunde, konnten wir schließlich Tobias als unseren Dritten im Bunde gewinnen, sodass wir mit der konkreten Planung beginnen konnten. Für Nachfragen jeglicher Art stand Ekkehard jederzeit zur Verfügung, sodass wir am 27.3.2017 gut vorbereitet in das Abenteuer Bolivien starteten.
Von Frankfurt/ M. aus flogen wir zunächst nach Madrid, verbrachten dort einen entspannten Tag mit Sightseeing, bevor wir mit der bolivianischen Airline BOA nach Santa Cruz und von dort aus nach Cochabamba weiterreisten. Mitsamt unserem Gepäck trafen wir pünktlich in Bolivien ein und wurden von Ekkehard in Empfang genommen.
Zur Akklimatisierung verbrachten wir zunächst einige Tage in Huancarani, wo der FCSM eine Consultorio dental betreibt. Dort angekommen wurden wir herzlich von den anderen Voluntarios empfangen und erholten uns schnell von den Strapazen des Fluges.
In den nächsten Tagen sichteten wir unsere zahnärztliche Ausrüstung, freundeten uns mit den anderen deutschen Voluntarios an, lernten das fahrplanfreie bolivianische Verkehrssystem kennen und erkundeten Cochabamba samt Umgebung.
Am Abend, bevor wir in unser Projekt starten sollten, kam dann die Schreckensmeldung: Auf Grund organisatorischer Schwierigkeiten sei es nicht möglich, das Projekt in Arque stattfinden zu lassen. Die nächsten Tage waren von Unsicherheit und bangem Hoffen, wann, wo und ob wir überhaupt mit der Projektarbeit beginnen könnten, geprägt. Zur Überbrückung organisierte Ekkehard eine Schuluntersuchung in Huancarani. Freundlich und neugierig wurden wir dort als die „Doctoritas de Alemania“ begrüßt und konnten uns einen ersten Eindruck des im Allgemeinen sehr schlechten Milchgebisszustandes der Kinder verschaffen.
Da sich in der Zwischenzeit leider immer noch keine neue Lösung für unsere Projektarbeit geboten hatte, nutzten wir das verlängerte Wochenende für eine Tour durch den Salar de Uyuni, welche zu den eindrücklichsten und schönsten Erlebnissen unserer Reise zählte, und die sich tatsächlich kein Bolivien- Tourist entgehen lassen sollte.
Auf dem Rückweg nach Huancarani erreichte uns die gute Nachricht, dass wir in Tasa Pampa, einem Dorf bei Sucre, für die nächsten 3 Wochen arbeiten könnten. Also verbrachten wir die zweite Nacht in Folge im Nachtbus und machten uns mit Ekkehard und unserem zahnärztlichen Equipment auf den Weg nach Tasa Pampa.
Von Sucre aus ging es im Trufi 2 Stunden durch teils imposante Natur zu unseren geplanten Einsatzort Tasa Pampa, welcher idyllisch zwischen Bergen und ganz am Ende einer unbefestigten Straße liegt.
Dort angekommen richteten wir zunächst mit Ekkehard´s Unterstützung unsere kleine Praxis in einem freien Zimmer der örtlichen Arztpraxis ein, inspizierten unsere Baracken-Unterkunft direkt am Hauptplatz des Dorfes und statteten der bolivianischen Familie einen Besuch ab, die für uns während der nächsten Wochen kochen würde.
Am nächsten Tag begannen wir mit den Behandlungen, die im Bolivia movil-Projekt komplett kostenlos angeboten werden. In den ersten Tagen lief unsere Arbeit noch recht schleppend an, da sich unser kostenloses Angebot wohl noch nicht unter der Bevölkerung Tasa Pampa´s herumgesprochen hatte. Nach Rücksprache mit dem ansässigen Arzt, der uns bei Problemen jeglicher Art tatkräftig zur Seite stand, besuchten uns täglich mindestens 2 Schulklassen zum gemeinsamen Zähneputzen, sowie zur Reihenuntersuchung. Dadurch erlangten wir schnell Bekanntheit im Dorf und es kamen zunehmend mehr Patienten. Nach und nach wurde es zur Lieblingsbeschäftigung der Dorfkinder, unsere Behandlungen durch die Fenster des kleinen Consultorios zu beobachten, bis sie so genügend Mut gesammelt hatten, sich selbst auf den Behandlungsstuhl zu setzen.
Wir behandelten nun also täglich von 8.30-12 Uhr, legten dann eine zweistündige Mittagspause ein, die wir vor allem zum Wäsche- und Haare waschen nutzten, bevor wir um 14 bis 18 Uhr erneut die Praxistür öffneten. Im Wesentlichen führten wir Füllungstherapien durch und zogen tiefzerstörte Milchzähne bzw. Wurzelreste permanenter Zähne. Dabei stellte es sich als besondere Herausforderung dar, die Eltern von der Notwendigkeit zu überzeugen, einen kariös zerstörten Milchzahn zu ziehen. Insbesondere der Zustand der Milchgebisse war zum Teil desolat. Schon bei 8-jährigen Kindern waren komplett zerstörte 6-Jahrs-Molaren zu finden. Wir führten dies vor allem auf die hochgradig kariogene Ernährung der Kinder zurück. Eine Besonderheit Tasa Pampa´s war das häufige Auftreten von Mesiodentes, was zum Teil zu einem extremen Engstand der Oberkieferfront führte.
Für Tasa Pampa´s Kinder waren wir inzwischen die Hauptattraktion geworden, sodass wir kaum das Haus verlassen konnten, ohne zum Spielen eingeladen zu werden. Auf diese Weise lebten wir uns schnell ein.
Die erwachsenen Bolivianer zeigten dagegen mehr Schüchternheit und Zurückhaltung, was teils sehr angenehm, teils jedoch auch irritierend sein konnte. Wenn z. B. die Reaktion auf eine neue ästhetische Frontzahnfüllung nicht so enthusiastisch ausfällt, wie man es aus Deutschland gewohnt ist.
In eindrücklicher Weise erlebten wir die Abhängigkeit des Lebens der Landbevölkerung vom Wetter. Bei Regen konnte das Dorf nicht verlassen werden, da es auf der unbefestigten Straße zu kleinen Erdrutschen kam. Strom- und Wasserausfälle waren ebenfalls nicht selten.
Die Wochenenden nutzten wir, um Bolivien zu erkunden und unternahmen Ausflüge nach Sucre und La Paz, sodass die Zeit insgesamt schnell verging. 5 Wochen voller prägender und lehrreicher Erlebnisse, in denen uns einmal mehr deutlich wurde, in welch` unfassbarem Luxus wir in Deutschland leben dürfen und wie bunt, gesellig und entspannt das Leben in Bolivien trotz großer Armut verläuft. Vermissen werden wir die wunderschöne Natur und die fröhlichen, tapferen und unglaublich selbstständigen bolivianischen Kinder. Auch an die angenehm unbürokratische Behandlung werden wir im Studentenkurs wohl das ein oder andere Mal wehmütig denken.
Pommessuppe und trockener Reis mit fritiertem Spiegelei wird mir dahingegen weniger fehlen, sodass ich an das Leipziger Allerlei der Unimensa jetzt mit ganz anderem Appetit denke.
Alexandra Schönduve