Kraft, Juliane
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Huancarani, 7. März – 22.April
Nach einem wirklich angenehmen Flug von Hamburg über Charles de Gaulle nach Madrid und einem tollen eintägigen Aufenthalt in Madrid ging mein Flieger nach Bolivien. Nach einer sanften Landung ging es erstmal zur Migración. Dort musste ich meine Dokumente vorzeigen und bekam ein Visum. Kurz danach kam auch schon mein Koffer an und ich wurde von Ronald abgeholt.
Gleich darauf gingen wir einkaufen. Der Supermarkt war riesig und die Auswahl doch etwas anders zum gewohnten Deutschland. Milch gab es nur in Tüten, genauso wie eigentlich alle Flüssigkeiten. In der Stadt hielten wir an einer Wechselstube. 1 Euro für 7,15 Bolivianos. Da war ich ziemlich froh, dass ich nicht mein Geld in Madrid getauscht hatte, wo der Wechselkurs mit 5,4 Bolivianos pro Euro wesentlich geringer war.
Später parkte Ronald das Auto auf einem Parkplatz, wo er seinen Schlüssel abgab, damit man dort auf das Auto aufpasse. Wir gingen derweil eine Handykarte besorgen. Gegen Mittag machten wir uns dann auf den Weg nach Huancarani. Auf dem Weg erzählte mir Roland viel über die Gegend, worauf ich achten müsste, wie ich mich fortbewegen sollte…
Ich war so müde von der Reise, dass ich das meiste nur halb mitbekam.
Wir fuhren von der Hauptstraße auf eine steinige Sandstraße, vorbei an spielenden Kindern und streunenden Hunden. Kurz darauf waren wir auch schon da. Wir hielten vor einem großen Tor, Ronald trug meinen Koffer rein und dann ging es die Treppe hinauf.
Oben wartete bereits Siegbert, ein pensionierter Zahnarzt. Ronald zeigte mir noch kurz mein Zimmer und überliess mich dann meinem Schicksal. Kaum hatte ich meine Sachen abgestellt, zeigte Siegbert mir alles. Er gab mir viele Informationen, zeigte mir das Consultorio, wo ich die nächsten Wochen als Zahnärztin arbeiten sollte und wie man was bediente. Wie man den Kompressor einschaltet, den Strom, worauf man achten musste…
Danach zeigte er mir noch das Dorf. Kaum waren wir einige Meter gegangen, kamen uns Kinder entgegengerannt und ein kleines Mädchen umarmte mich stürmisch. Für einen kurzen Augenblick wusste ich gar nicht, was ich machen sollte. Dann streichelte ich Ihren Rücken und kurze Zeit später liess sie wieder von mir ab und rannte weiter.
Wir kamen an eine Allee mit Eukalyptusbäumen vorbei, einer stillgelegten Bahn-strecke , vielen Kühen und Eseln. Nach fast zwei Stunden kamen wir dann wieder – ich vollkommen erschöpft – in der PRIWA an.
Nach einem kurzen Erholungsschlaf und einer Dusche fuhr Siegbert mit mir in die Stadt, um etwas essen zu gehen, da wir am Wochenende nicht von Doña Adela bekocht werden konnten. Wir liefen ca. 10 Minuten bis zur asphaltierten Hauptstraße und dann winkte Siegbert ein Trufi herbei, das hier wohl gängigste Verkehrsmittel. Ein kleiner weißer Bus, in den zwischen 9 und 20 Leute passen und von Privatleuten mit Trufi-Lizenz gefahren wird. Es gab weder Gurte noch sonst irgendetwas, was einem etwas Sicherheit vermittelt hätte. Im Trufi saßen bereits einige Bolivianer,
Frauen mit großen Hüten, dicken, langen Röcken und bunten Blusen. Auf unserer Fahrt hielt der Trufi immer mal wieder abrupt an, entweder weil jemand „Parada“
(Haltestelle) oder „Esquina“ (Ecke) rief oder weil jemand an der Straße stand und mit der Hand ein Signal gab, einsteigen zu wollen. Immer dann machte der Wagen einen waghalsigen Schlenker und reduzierte seine Geschwindigkeit binnen Sekunden von 60 auf 0. Dann wurde hinten die Schiebetür geöffnet und jemand stieg ein oder aus. Beim Aussteigen wurde bezahlt. Meist ein oder zwei Bolivianos, was einen Betrag zwischen 15 und 30 Cent entspricht.
Wir entschieden uns, Hühnchen essen zu gehen, da dies wohl das Gericht ist, von dem man am wenigsten Probleme mit der Verdauung zu erwarten hatte. Zunächst aber schlenderten wir durch die Straßen. Am Bürgersteig wurde Obst verkauft, aber auch Klamotten, Hüte, Kosmetika oder Getränke in Tüten, aus denen ein kleiner Strohhalm ragte.
Am Tisch fragte uns die Kellnerin mit was wir das Hühnchen essen wollen. „Mit allem?“ . „Was ist alles?“ fragte ich zurück. „Nudeln, Reis und Pommes“.
An den ersten beiden Arbeitstagen kamen viele Patienten. Siegbert und ich wechselten uns ab, Anja, eine Voluntaria aus Thüringen, assistierte uns. Die Patienten hatten meist extrem viel Zahnstein, der teilweise schon schwarz war und sich auch in der Oberkiefer Front befand. Schon bei den ersten Patienten konnte ich ein paar Zähne extrahieren – etwas das während meines Studiums etwas zu kurz
gekommen war. Von Siegbert lernte ich schnell die wichtigsten Sachen, auf die man hier zu achten hatte. In den nächsten Tagen kamen nicht mehr ganz so viele Patienten, aber man konnte sich auf dem Gelände auch andere Tätigkeiten suchen: Den Frauen bei ihrer Arbeit helfen, Hunde waschen und scheren, mit den Kindern der PIRWA spielen, Mülleimer bauen…
Die Kinder der PIRWA kamen auch ins Consultorio. Manchmal schien es, als haben sie sich abgesprochen, bzw. so lange gewartet, bis alle das gleiche Problem hatten. So hatten wir einmal drei Kinder hintereinander, denen allen der 64 Wurzelrest extrahiert werden musste. Die Kleinen kamen meist in Begleitung der älteren Schwester oder mit Nachbarskindern. Eltern kamen eher selten mit. Die meisten
hatten desolate Gebisse, total zerstörte Milchzähne und manchmal waren bei einem 10-Jährigen auch schon die 6er zerstört. Da war man immer sehr erstaunt, wenn mal ein Patient kam, der nur eine Füllung brauchte. Einige von Ihnen kamen auch nur zur Kontrolle, um eine neue Zahnbürste und Zahnpaste zu bekommen.
Die Zeit mit Siegbert verging leider sehr schnell. Stets redeten wir über Fachliches, aber auch über die Familie oder Vergangenes.
Unsere diversen schönen Ausflüge und das gemeinsame Kochen liess die Zeit im Flug vergehen. Ostern näherte sich. Die ersten Tage blieb ich noch in Huancarani.
Eigentlich sollte das Consultorio geschlossen bleiben. Da aber so viele Patienten kamen, öffnete ich die Praxis mit Anja.
Am ersten Abend ohne Siegbert gesellte ich mich abends zu Doña Adela. Adela ist eine kleine Frau, 1,50m groß, die immer im Rock, Bluse und mit Schürze herumläuft. Ihre langen schwarzen Haare, die ihr bis zur Hüfte reichen, trägt Sie zu zwei Zöpfen gebunden und mit einem Band verbunden. Zusammen mit Ihren Söhnen schauten wir einen Film an. Dies sollte sich noch häufiger wiederholen.
Am Donnerstag ging es dann mit Jan, dem Zahntechniker, und Herbert, dem neuen Zahnarzt, Anja und ihrer Mutter in den Salar (größter Salzsee der Welt). Der Ausflug war wunderschön. Wir wurden von unserem Reiseleiter abgeholt und machten dann eine 3-Tages-Tour. Am Sonntag-Abend nahm ich dann mit Anja den Bus zurück. Die anderen flogen.
Am Montag öffnete ich dann das Consultorio mit Herbert. Das Wartezimmer war voll und es gab viel zu tun. Am Dienstag machten wir einen neuen Rekord mit 23 Patienten. Dieser Rekord wurde bald darauf verdoppelt und am vorletzten Tag sogar vervierfacht - 94 Patienten! Die Woche drauf kamen die Schulkinder aus Huancarani. Es war erstaunlich, dass wir unter 400 Kindern nur 5 kariesfreie hatten und die Kinder vor allem zerstörte Zähne im dritten Quadranten hatten.
Es folgten weitere Wochenendausflüge nach Tiquipaya, Cotapachi, Liriuni, auf die Cancha, Toro Toro…
Und auch viele Interessante Patientenfälle. Die ersten Placas wurden eingesetzt und die Patienten waren sehr zufrieden. Abends brachte Adela uns das Häkeln bei und oft schauten wir mit Ihrem Sohn Henry noch einen Film oder unterhielten uns über diverse Dinge. Auch mit Wilfredo unternahmen wir einiges.
In unserer letzten Woche erreichten wir dann die 1000-Patienten-Marke und waren etwas traurig, dass sich kein Zahnarzt für Mai gefunden hatte, da uns bewusst war, dass die Patienten bald vor geschlossenen Türen stehen würden. Der große Andrang war wahrscheinlich auch auf die gute Resonanz der einheimischen Zahnärztin zurückzuführen, die uns ab und zu besuchte und von unserer
guten Einrichtung begeistert war. Bei Ihr würde Amalgam noch mit Hand angerührt und Endos ohne Röntgenbild oder elektronische Messung gemacht. Einige Patienten bekamen wir auch direkt von ihr überwiesen.
An unserem letzten Tag warteten um 14:00 Uhr bereits 12 Patienten vor der Tür,
sodass wir Nummern verteilen mussten. Dies vor allem auch deshalb, da am Donnerstag-Nachmittag unser Consultorio gestürmt wurde und wir keinen Überblick mehr hatten, wer eigentlich dran war. Da die Kinder sich mit Spielen die Zeit vertrieben und nur die älteren ordentlich in der Reihe warteten, war es auch gar nicht mehr nachvollziehbar, wer dran war.
An meinem letzten Wochenende reiste ich mit Anja und Wilfredo nach Chapare in den Dschungel. Es war ein toller Kontrast. Feuchtes Klima, Affen in den Bäumen,
Flüsse, viele Papageien…
Am Montag setzte ich dann mit Anja die letzten zwei Prothesen ein. Die letzte Patientin war so glücklich, dass sie vor Freude weinte - und wir fast mit. Sie bedankte sich überschwänglich und sagte immer wieder: „Que dios os bendiga“ - Gott schütze
euch, vielen Dank!
Und so ging auch die letzte Woche zu Ende und schweren Herzens verabschiedete ich mich von allen, mit der Gewissheit, in drei Jahren wieder zu kommen, um dann all jene Unternehmungen nachzuholen, für die bei dieser Reise keine Zeit mehr war.
Juliane Kraft