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Schnabel, Michael

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Huancarani  15.01. bis 12.02.2022
Als ich in München das Flugzeug nach meiner Rückkehr aus Bolivien verliess, hatte ich das Gefühl, aus einem langen Traum aufgewacht zu sein. Es war alles soviel anders in Bolivien. Dieses uralte, verschrammte und verrostete Taxi, das uns nach Huancarani gebracht hat, diese Fahrt dorthin auf der Straße nach La Paz, die nicht endenden Häuserreihen aus halbfertigen neuen und teilweise verfallenen Gebäuden, meist mit irgendwelchen Gewerben wie Lebensmittel, Gastronomie, Eisen-, Ele
ktro-, Instalationswerkstätten, Reifen- und Autowerkstätten usw usw bestückt, dann der Verkehr, das ständige Hupen von allen Seiten, die PKWs,  Laster, Busse, Picups, Motorräder rechts überholen, mal eben links reinquetschend und schließlich das Abzweigen in Sipe Sipe nach Huancarani: unbefestigte Straße, Schlaglöcher  Pfützen, Bremshügel, überall freilaufende Hunde und die Menschen mit ihrer typischen goldbraunen Hautfarbe und der von Frauen getragenen Tracht mit ihren bunten weiten Röcken, ihren schwarzen Zöpfen unter den orginellen Kopfbedeckungen, das war einfach zuviel für den Anfang.
Dann, nach geschätzten 30 Stunden  Reisezeit aus dem heimischen Winter  in der südamerikanischen Sommer in eine Höhe über 2500 m war für mich nicht ganz leicht. Aber am zweiten Tag war's schon besser.
Das Zusammentreffen mit den anderen Volontarios, mit denen ich die nächsten Wochen in einer Art WG verbringen durfte, war von Anfang an überaus positiv. Es hat viel dazu beigetragen, dass mir der Aufenthalt hier in sehr guter  Erinnerung bleiben wird. Schließlich haben wir nicht nur zusammen gewohnt und gegessen, sondern auch zusammen gearbeitet und auch das hat immer perfekt funktioniert. Die drei sind Elisabeth mit ihrem Freund Vincent und Maite, einer Zahnmedizinabsolventin aus Münster. Elli und Vincent stammen beide aus den neuen Bundesländern und sind kürzlich nach Hamburg gezogen. Elli ist Zahnärztin mit ein paar Jahren Berufserfahrung, Vinc, ihr Freund hat mit Zähnen nichts zu tun, hat in der Zeit hier mehrere Videos über die ganze Einrichtung gedreht, damit zukünftige Volontarios auch einen optischen Eindruck über Leben und Arbeiten des FCSM hier in Huancarani bekommen können.
Last, but not least Ekkehard, der mich nach Bolivien gelockt hatte. Mitte November kam seine Anfrage an mich und weil mich sowas immer reizt, habe ich nach kurzer Bedenkzeit und Absprache mit der Familie, zugesagt. Dann kam aber erstmal der Hammer: zig Formulare waren im Vorfeld auszufüllen. Alles war anfänglich ziemlich erdrückend, aber ich hatte ja noch zwei Monate Zeit und so hab ich eins nach dem anderen erledigen können und bis auf den PCR-Test war alles abgeschlossen. Und dann, am 14. Januar ging's los München - Madrid - Santa Cruz - Cochabamba  - Huancarani.
Mit Ekkehard hab ich mich in Madrid getroffen, von da an sind wir zusammen gereist. Wir kannten uns von ein paar wenigen Begegnungen von vor zwei Jahren und auch da war schon eine gewisse Verbindung zwischen uns zu spüren. Bei unserem gemeinsamen Aufenthalt hier in Bolivien hat sich das bestätigt und verstärkt. Abend für Abend saßen wir beinander bei einem Gläschen Roten und uns schien der Gesprächsstoff nie auszugehen. Auch bei der Arbeit und im Freizeitsbereich waren wir meist zusammen und ich habe viel über Land und Leute und die Einrichtung erfahren dürfen.
Nun zu meiner eigentlichen Bestimmung als Zahntechniker hier in Huancarani. Die Sprechzeiten beginnen am Montag um 14 Uhr. Früh am Morgen warteten schon etliche Patienten vor dem Tor. Es war wohl schon längere Zeit kein Zahntechniker mehr hier, und so war ich sozusagen als Heils- und Prothesenbringer angesagt worden. Am Vormittag konnte ich mich erst mal mit den Laborgegebenheiten vertraut machen. Ich habe alle Schränke und Schubladen inspiziert, Maschinen getestet, Material gesichtet und festgestellt, eigentlich alles da, was man hier so braucht, und bissl was hab ich ja auch von zuhause mitgebracht. So ging's am Nachmittag auch gleich richtig los, Modelle ausgießen und  bearbeiten, einartikulieren, alles selber machen kostet auch Zeit. In den nächsten vier Wochen hab ich vllt. 100 Klammern gebogen und unzählige Zähne auf- und fertiggestellt. Unter der Woche  war ich mit gut acht Stunden täglich beschäftigt  und am Abend manchmal ganz schön platt. Dann ist in der zweiten Woche noch der Kompressor ausgefallen und gottseidank schon noch gut zwei Tagen wieder repariert zurück gekommen. Da waren auch mal paar Wochenendstunden angesagt, um alles ordentlich zu schaffen. Hinzu kam, dass mich in dieser Zeit ein Darminfekt ziemlich ausgebremst hat, was zusätzlich zur Folge hatte, dass ich an möglichen größeren Wochenendausflügen nicht teilnehmen konnte. Aber ehrlich gesagt hat mir das nicht viel ausgemacht. Vielleicht komme ich ja nochmal wieder und dann kann ich das eine oder andere noch anschauen.
Noch ein paar Zeilen zu unsrer treuen Seele Doña Adela und ihrer Familie, die hauptsächlich aus ihr, ihren beiden Söhnen Wilfredo und Henry, ihrem Mann Don Filipe und ihrem Vater (76) Benedeto bestand.
Wilfredo war komplett in den Praxisablauf integriert und auch fest angestellt. Auf Grund seiner guten Englischkenntnisse war er als Mittler zwischen Patienten und Zahnarztpersonal sehr nützlich und unersetzlich. Seine  Freundlichkeit, Hilfs- und Einsatzbereitschaft runden die Person Wil, wie er gern genannt wurde, ab, und er wurde auch mir in den vier Wochen zum wahren Freund.
Henry, sein Bruder, arbeitet in einer Schreinerei und war für uns oftmals als Fahrer z.B. nach Cochabamba  im Einsatz.
Doña Adela kümmert sich um Haus und Garten, füttert die drei Hunde und drei Katzen und uns natürlich. Mittag und Abend bekamen wir zu Essen, alles war immer frisch gekocht und muy rico.
Vier Wochen waren schnell vorbei und ich fliege mit einem ganzen Sack voll neuer Eindrücke und Freundschaften nachhause. Fazit ist: Bolivien ist ein großes Land, das in vielen Dingen noch ein wenig rückständig ist. Das meine ich nicht abwertend, vieles ist sehr authentisch geblieben und unkompliziert und hat dadurch einen gewissen Charme. Wenn man sich auf all diese Unterschiede einlässt, kann man hier auch sehr gut leben.
Michael Schnabel ZTM
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