Kensche, Anna
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Anm.d.Red.: Wem der Text unten zu lang erscheint,
sollte wenigstens das zusammenfassende Urteil erfahren, weswegen ich
Anna´s Fazit an den Anfang stelle. Das sollte aber bitte niemanden
abhalten, den wirklich sehr lesenswerten Text zu geniessen:
Ein Fazit?
Welches Gefühl bleibt am Ende? Ich vermute, es
wird noch eine Weile dauern, bis die Erfahrungen dieser fünf Wochen
verarbeitet sind und ihren Platz im hiesigen Dasein gefunden haben.
Allem voran bin ich jedoch unbeschreiblich dankbar einen Beruf gewählt
zu haben, der mir ein derartiges Erleben möglich macht. Dank der guten
Erfahrung mit dem FCSM mit Sicherheit nicht das letzte Mal!
"Bolivia movil" Februar / März 2015
Der Blick über den Tellerrand
Seit Beendigung
meines Zahnmedizinstudiums ist der Wunsch in mir gereift, irgendwann
einmal als Zahnärztin in einem Entwicklungsprojekt tätig zu sein. Doch
wie das mit den zarten Pflänzchen so ist, übersieht man sie im Alltag
oft erst einmal, ist abgelenkt von anderen offensichtlicheren
Herausforderungen und Zielen. Der unmittelbare Berufsalltag wird schnell
immer lauter und fordernder, die wenigen Urlaubstage immer wertvoller
und hoppala vergehen schnell einmal fünf Jahre. Rückblickend bin ich nun
umso dankbarer, dass mir im vergangenen März aus einer spontanen
‚Besinnung‘ heraus der Blick wieder klarer wurde, ich dem zähen Gewächs
Aufmerksamkeit geschenkt und mich für das Projekt El Villar des FCSM
beworben habe. Im Rahmen meines Jahresurlaubs war es mir möglich von
Februar bis Anfang April diesen Jahres für insgesamt fünf Wochen nach
Bolivien zu reisen. Dank Ekkehards einwöchiger ‚Überbrückung‘ im
eigentlich auf fünf Wochen ausgelegten Projekt, durfte ich mit fünf
Tagen Verspätung dem Team hinzustoßen und am Ende meinen vollen Kopf
noch bei einer Urlaubswoche mit landschaftlichen Eindrücken entspannen.
Zum
Zeitpunkt meiner Bewerbung konnte ich nicht ein Wort Spanisch und da
sich mein Behandlungsspektrum vorrangig im Bereich der Zahnerhaltung und
Kinderzahnheilkunde befindet, erschienen mir auch meine sonstigen
Voraussetzungen für ein solches Projekt etwas vage. Nun ja, heute weiß
ich, dass Motivation ein unheimlich verlässlicher Partner ist.
Wer hatte diese Schnapsidee?
Als ich allerdings
an einem Donnerstagmorgen in das Flugzeug Richtung La Paz stieg, ging
mir ganz schön die Düse. Es war vereinbart, dass ich am Samstagmittag in
Sucre auf Ekkehard, Maxi, Lena und Karoline treffen sollte. Da ich
meinen Flug recht spät gebucht hatte, war es sehr viel günstiger über
die USA zu fliegen. Entsprechende ‚Leidensgeschichten‘ über das zeitlich
aufwendige Umsteigen in den USA kann ich nicht vollends bestätigen, mit
Siebenmeilenstiefeln hat alles reibungslos geklappt, wenngleich man
sich allerdings darauf einstellen muss, das Gepäck noch einmal aus- und
einzuchecken. Etwas Pufferzeit ist hier definitiv ratsam. Da es keine
direkte Verbindung nach Sucre gibt, habe ich eine Nacht in La Paz
geschlafen und bin erst am Folgetag Richtung Sucre weitergeflogen. Nach
den stressigen Tagen der mehr oder minder guten Vorbereitung in
Deutschland, dem langen Flug und der wahrscheinlich menschlichen
Nervosität habe ich den Nachmittag in La Paz eher verstört wahrgenommen.
Die 3.500 Höhenmeter waren erträglich, der Puls ging allerdings latent
unruhiger und ohne jegliche Lateinamerika-Erfahrung erschien mir die
Stadt sehr fremd. La Paz ergießt sich vollgestopft von Häusern in einen
Berggraben, Englisch ist hier wirklich eine Fremdsprache, die nur wenige
bruchstückhaft beherrschen. Dass sie fahren, ist der einzige Luxus, den
Transportmittel bieten und auch das scheint nicht garantiert. Das Leben
ist günstig, aber es ist gar nicht so einfach, die vom Automaten
ausgespuckten 100-Boli-Scheine (ca. 14 Euro) gewechselt zu bekommen. Ja
und nachdem selbst der kleinste Taschen-Reiseführer einen Absatz zur
hohen Kriminalität in La Paz bereithält, ist es auch mir schwergefallen,
leichten Fußes durch die Stadt zu flanieren. Zu einem weniger nervösen
Zeitpunkt hätte ich das Ein oder Andere sicherlich aus entspannteren
Augen gesehen .
Zunächst bin ich nun also doch sehr erleichtert am
Samstagmorgen nach Sucre weitergeflogen. Wie ich im Nachhinein erfahren
habe, hätte das sogar schiefgehen können, da der Flughafen in Sucre
relativ regelmäßig wegen undurchsichtiger Wolkendecke geschlossen ist.
Das wäre wohl eine Überraschung im bolivianischen Stil geworden. So
konnte ich aber meinen Rucksack vom einzigen Kofferband des Flughafens
auflesen, den alle Bolivianer um einen Kopf überragenden Ekkehard
erspähen und dankbar begrüßen. Langsam spürte ich wie sich die
Nervosität und Anspannung der letzten Tage zaghaft in Neugierde,
Aufregung und Vorfreude wandelte.
Ein gutes Team
Nun sind wir also in das von Don
Arturo geführte HI-Hostel (Hostelling International) gefahren.
Interessanter Weise sind in Bolivien Taxifahrten vom Flughafen immer
etwas preisintensiver als die gleiche Gegenrichtung. Das Hostel in Sucre
erschien mir wie eine kleine internationale Oase. Es bietet zahlreichen
deutschen Voluntarios während ihres Bolivienaufenthalts ein Zu Hause,
mittags und abends gibt es wunderbar abwechslungsreiche Gerichte, die
Zimmer sind sauber und mit wenigen Ausnahmen war die Dusche warm und
ihre tägliche Nutzung kein offensichtliches Luxus-Verbrechen. Der
‚Hausherr‘ Don Arturo ist freundlich und hilfsbereit, spricht in einer
selbst für Schmalspurtalente wie mich gut verständlichen Geschwindigkeit
Spanisch und hat im Verlauf unseres Einsatzes zahlreiche koordinierende
Maßnahmen an unseren Einsatzorten angeregt bzw. umgesetzt. Leider gab
es am Ende ein paar Missverständnisse über die Dokumentation unserer
Behandlungen. Laut Don Arturo sollten alle Patienten digital erfasst und
durchgeführte Maßnahmen kurz aufgelistet werden. Dies war uns nicht
bekannt. Die Umsetzung dessen und der damit verbundene Mehraufwand
sollte in Zukunft von Beginn an abgesprochen werden.
Bei einer
kleinen Führung durch das Hostal, vorbei an den in der Garage geparkten
portablen Behandlungseinheiten und dem neben der Küche aufgebauten Steri
habe ich dann auch gleich Maxi, Lena und Karoline kennengelernt. Nach
einer kurzen Begrüßung, einem beschwingten Austausch über bisher
Erlebtes und kurzem Update zum derzeitigen Stand ob Brech-Durchfall ja
oder nein, war mir bereits klar, dass wir wohl eine recht aktive, dank
Karo gut geplante, dank Maxi gut umgesetzte und dank Lena entspannte
wunderbare Zeit haben würden. An dieser Stelle noch einmal ein
herzliches Dankeschön an alle. So sind wir dann auch gleich alle
gemeinsam losgetigert, waren in Ekkehard´s Lieblingscafé Kaffee trinken
und Nata-Eis essen – zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wie rar
ein guter Nicht-Instant-Kaffee in den kommenden Wochen sein würde -,
haben unseren ‚Fair-Trade‘-Lieblingsladen entdeckt und aufgekauft, haben
Pläne gemacht und süßes bolivianisches Bier getrunken. Ein schöner
Einstieg und am kommenden Tag sollte es dann für zwei Wochen Richtung
Tarabuco gehen.
Der Arbeitsalltag - Ein Bisschen wie zu Hause… aber nur fast!
Nachdem
die Abfahrtszeit unseres gemieteten, am autofreien Tag doch fahrenden
Minibusses (Trufi) wenigstens dreimal geändert wurde, sind wir gegen
Mittag gespannt nach Tarabuco aufgebrochen. Nach bolivianischen
Vorstellungen hätten wir sicherlich gut noch mindestens eine Familie
auf, oder vielleicht zwischen den vielbepackten Sitzen oder den Kisten
auf dem Dach unterbringen können. Die Fensterkronen unseres Fahrers
blitzten uns freundlich aus dem Rückspiegel entgegen, der fragwürdige,
typisch bolivianische musikalische Kulturbeitrag wurde aufgedreht und es
ging zwei Stunden mit 40-60 km/h über das Land. Die Weite,
Vielseitigkeit und ‚Authentizität‘ der Landschaft hat sich zu diesem
Zeitpunkt erstmalig offenbart und wurde später bei jedem Ausflug in die
Natur immer wieder neu bestätigt und übertroffen. Als wir dann jedoch
über die Sandstraße langsam in den Ort hineinfuhren machte sich zunächst
ein latentes undefinierbares ‚Beklemmungsgefühl‘ in mir breit. Es war
Sonntagsmarkt in Tarabuco, vor kleinen, oft recht spröden Häusern saßen
die Bolivianer, Cholitas blickten uns aus skeptischen Gesichtern an,
Kinder in zerschlissenen Kleidern mit ganz staubiger Haut. Verwahrloste
Hund liefen überall umher, dem Tierfreund blutet das Herz wenn er sieht
wie ein Rudel Rüden einer Hundedame nachjagt, die kaum mehr laufen kann
und sich doch nicht zu schützen weiß. Es war einer dieser vielen Momente
in denen ich die Fremde ganz unmittelbar empfand, wie ein Blick durch
ein Schlüsselloch nur ohne eigenes Verstecken. Natürlich gewöhnt man
sich erstaunlich schnell an die neue ‚Umgebung‘ und doch habe ich mich
in unserem Team oft wie in einem kleinen Mikrokosmos gefühlt. Immer
wieder einmal habe ich bewusst versucht zu beobachten, anstatt anhand
eigener europäischer Maßstäbe zu bewerten. Ich glaube, umso mehr einem
dieses gelingt umso reicher ist die Erfahrung eines solchen Projektes.
Auch
in Tarabuco waren wir in einem HI-Hostel unter der Leitung von Alberto
untergebracht. Zu viert in einem großen Raum mit eigenem Bad hätte es
richtig gemütlich sein können, sofern nicht der allgemeine Wassermangel
und die ‚kritische‘ Wasserpump‘-Situation zunehmend den Tagesablauf
bestimmt hätten. Tarabuco liegt auf etwa 3.300 m Höhe, wird nachts oft
recht kalt und nachdem wir gleich bei Anreise gebeten wurden, das
Duschen auf einmal wöchentlich zu beschränken, hatten wir erst einmal
Frust. Etwas Offenheit und Flexibilität mit der Situation, eine Flasche
Singani, der ein oder andere mit Alberto verbrachte Abend und viel
Händedesinfektion haben uns dann aber doch recht friedlich durch die
zwei Wochen gebracht. Außerdem war im Gegensatz zu dem etwas
beschränkten ‚Privatzimmer‘ unser hiesiger Behandlungsraum, der direkt
im Hostel befindliche Spielesalon, ein echtes bolivianisches
Schmuckstück. Nachdem wir unsere zwei bis dato noch funktionsfähigen
portablen Einheiten aufgebaut, Schritt für Schritt all unsere
Materialien auf Tischen drapiert (die anderen hatten kofferweise Spenden
mitgebracht, Bravo!) und Mülltüten zum Spucke-Spucken angebracht
hatten, erschien unser kleines Consultario richtig professionell.
Erstmalig die gesamte Ausstattung inspizierend, habe ich wirklich
gestaunt, dass sowohl Kompositfüllung, minimalinvasive Therapie,
Extraktionen und selbst einfache Endos ohne weiteres möglich wären. Auch
die Behandlungskleidung ist ausreichend vorhanden. Wichtig ist eine
gute(!) Stirnlampe mit Ersatzbatterien.
Am Montagmorgen wurde unser
Elan erst einmal gebremst, da sich das hiesige Krankenhaus relativ
unkooperativ zeigte und auch kein Bolivianer von unserer Anwesenheit zu
wissen schien. Ursprünglich war geplant, dass wir eine Woche in Tarabuco
behandeln und dann mit einem Transport des Krankenhauses in umliegende
Dörfer fahren würden. Da dieser Transport jedoch nicht organisiert und
die Arbeitsbedingungen in Tarabuco selbst sehr gut waren, entschieden
wir uns, auch in der zweiten Woche dort zu bleiben. Arbeiten wollten wir
von 8-12 und von 14-18 Uhr. Allerdings dauerte es ein paar Tage, bis
unsere Anwesenheit in Tarabuco wirklich registriert wurde. Wir haben
Plakate gemalt, haben auf offener Straße Zahnreinigungen angepriesen und
uns, dank Albertos Hilfe, im Radio beworben. Wirklich los ging es
allerdings erst, als sich am Nachmittag die ersten Kinder in unseren
‚Spielesalon‘ verirrten und ohne 3, 4 und 5 nach Hause gingen. Ganz
unkompliziert war die Kinderbehandlung jedoch auch hier nicht, da wir
aufgefordert wurden, Einverständnisse der Eltern einzuholen. Da es
einige Bolivianer gibt, die nicht schreiben können bzw. nur Quechua
sprechen, haben wir es mit den kleinen Papierschnipseln, auf welchen
manchmal nur der Name des Kindes stand, nicht ganz so genau genommen.
Viele unserer kleinen aber auch großen Patienten zeigten einen
umfangreichen Sanierungsbedarf. Wir haben immer versucht relativ
konsequent zu behandeln, da die regelmäßige zahnmedizinische Betreuung
aufgrund mangelhafter Sorgfaltspflicht, sowohl von Patienten-, als auch
von Zahnarztseite, in Bolivien fraglich ist. Bei etwa 15-20 Patienten am
Tag haben wir viele okklusale Füllungen gelegt, viele Cp-Behandlungen
gemacht, unzählige Zähne und insbesondere Wurzelreste extrahiert. Im
Vergleich zu später besuchten Orten habe ich die Compliance der
Patienten während der Behandlung hier immer als sehr gut empfunden.
Insbesondere für die Kinder war der Besuch bei uns eine willkommene
Nachmittagsbeschäftigung, was wir gerne mit einer neuen Zahnbürste
belohnten. Wie vereinbart wiedergekommen sind sie oft jedoch auch nicht
und so haben wir versucht in einer Sitzung möglichst viel zu schaffen,
Prophylaxemaßnahmen durchzuführen, viel zu zeigen und insbesondere auch
aufzuklären. Unser kurzzeitiges zahnärztliches Therapieangebot war ohne
Zweifel sehr sinnvoll. Unter Berücksichtigung immer wieder auftretender
Koordinationsprobleme oder ‚Wartezeiten‘ stellte sich mir mitunter die
Frage, ob eine wirkliche Verbesserung der zahnärztlichen Versorgung
nicht eine viel intensivere Vernetzung mit bestehenden bolivianischen
Strukturen erfordert?! Dankbar waren unsere Patienten jedenfalls
allemal, oft am meisten für die geschenkte Zahnbürste, mitunter konnten
sie es wohl nur nicht so gut zeigen.
Sortiertes Kauderwelsch
Die Zusammenarbeit mit
den anderen drei Mädels hat sich relativ schnell sehr gut eingespielt
und ein jeder seine individuelle ‚Lücke‘ gefunden. Da meine eigenen
Spanischkenntnisse leider nicht über Nacht vom Himmel gefallen sind und
viele Bolivianer wohl auch nicht verstehen können, dass Spanisch für
manch einen auf der Welt eine Fremdsprache ist, war ich immer sehr
dankbar, wenn die anderen Mädels noch ein paar beruhigende oder
erklärende Worte mit unseren Patienten sprachen. Ich habe versucht mich
mit ein paar Erfahrungen in der Kinderbehandlung zu revanchieren.
Dennoch bin ich der Meinung, dass ein basales Behandlungsspanisch
relativ schnell zu erlernen ist und derartige Unsicherheiten niemanden
von der Teilnahme an einem vergleichbaren Projekt abhalten sollten.
Allerdings bleibt anzumerken, dass es einige Situationen gibt, wo ein
koordinierendes Gespräch wichtig ist. Vielen Dank also noch einmal an
Maxi und Lena! Und natürlich an Karoline für ihre Quechua-Gewandtheit!
(Willkommener) Ortswechsel
Während der zweiten
Hälfte unseres Arbeitsaufenthaltes sind wir in verschiedene
Einrichtungen um Sucre gefahren. Darunter war eine Schule in Llinfi,
welche die anderen bereits in der ersten Woche besucht hatten. Nachdem
der Direktor unser Wiederkommen eindrücklich erbeten hatte, war es doch
etwas verwunderlich, wie unstrukturiert die Schüler unseren
Behandlungsraum aufsuchten. Der tägliche Schulschluss oder
Veranstaltungen zum Vatertag waren trotz notwendiger zahnärztlicher
Therapie von scheinbar höherer Priorität. Zudem ist während dieser Woche
auch eine unserer portablen Einheiten ausgefallen, so dass sich die
Therapiemaßnahmen eines Teams auf Zahnreinigungen und Extraktionen
beschränkten. Dennoch hatten wir auch hier relativ gut zu tun. Da die
Toiletten in Llinfi seit einiger Zeit ohne Wasser betrieben wurden,
waren wir für jede Ablenkung von der sich langsam und kontinuierlich
füllenden Blase dankbar! Höhepunkt war in dieser Woche immer die
Mittagspause, wo wir von der Mutter einiger Schüler reichlich bekocht
wurden. Das Mittagessen setzte sich immer aus einer Suppe und einem
typisch bolivianischen Reis-Kartoffel-Ei-Essen zusammen. Im Gegensatz zu
der mitunter etwas einseitigen Küche in Tarabuco lernten wir hier
jedoch beispielsweise eine Mani(Erdnuss-)suppe zu schätzen.
Während
der letzten Arbeitswoche sind wir dann noch in Waisenheime für Jungs
bzw. Mädchen gefahren. Vielversprechend organisiert von einem lokalen
Zahnarzt entpuppten sich diese Tage zunächst als erstaunlich
schwerfällig, da wir entweder scheinbar zur falschen Zeit am falschen
Ort waren oder unsere Anwesenheit nicht vorbereitet war. Obschon es im
‚Hogar de Nazareth‘ sogar einen zahnärztlichen Behandlungsstuhl gab,
verbrachten wir zunächst einen halben Tag damit in der Sonne lesend auf
den Zahnarzt Fernando zu warten. Belohnt wurden wir damit, seine noch
angesteckten benutzten Schleifer zu entfernen, blutbespuckte Tupfer zu
eliminieren und die Turbine als nicht funktionsfähig zu diagnostizieren.
Anschließend haben wir dennoch versucht die Jungs des Heimes fertig zu
sanieren und ihnen mit Zahnputzübungen auch etwas pädagogisch
Aufmerksamkeit zu vermitteln. Zudem waren wir motiviert, auch den einen
oder anderen Jugendlichen der nebenan befindlichen JVA zu behandeln. So
extrahierten wir zerstörte Zähne und entfernten gleich noch die Nähte
der letzten Schlägerei. Obschon die Jungs sehr freundlich und dankbar
waren, hielt sich die Unterstützung des Aufsichtspersonals scheinbar in
Grenzen und unser Angebot wurde trotz mehrfachen Nachfragens nur sehr
sporadisch genutzt. Einen schönen Abschluss fand unsere Arbeitszeit dann
mit einer Gruppe quirliger, wenn auch zunächst sehr schüchterner,
Mädchen. Bereits während der ersten Untersuchungen deutete sich an, dass
wir in den Konflikt aus großem Behandlungsbedarf und übermäßiger Angst
geraten würden, was sich bei den ersten Anästhesien oder
Fissurenversiegelungen dann auch bewahrheitete. Viel Geduld, die
vertrauensvolle Unterstützung des Heimpersonals, Zahnputzübungen im
Sonnenschein, gemeinsames Katzenbabies-Streicheln, die eine oder andere
Konsequenz, aber wohl auch feste Umarmungen nach unter Gebrüll
extrahierten Zähnen haben uns letztendlich aber uneingeschränkte
Zuneigung und Vertrauen geschenkt. Und so hatten wir wohl alle beim
letztmaligen Kistenpacken dann doch das Gefühl etwas bewegt haben zu
dürfen.
Und zu guter Letzt – Urlaub muss doch sein
Während
der ersten Behandlungstage ist ein jeder von uns am Abend spätestens um
zehn ins Bett gefallen. Obgleich das Behandlungsspektrum übersichtlich
und die Pausen ist der Sonne ausgedehnt waren, brauchten Körper und
Geist einige Zeit um sich an die vielen Eindrücke zu gewöhnen.
An
den Wochenenden haben wir immer versucht einen kleinen Miniurlaub
einzuschieben. Wir hatten das Glück während DER Fiesta des Jahres, der
Pujllay, in Tarabuco zu sein, wo sich der kleine Ort plötzlich in ein
internationales, menschenüberfülltes Farbenmeer verwandelte. Außerdem
waren wir ein Wochenende mit dem Bus in El Villar und haben uns dort im
bergigen Grün verlaufen. Zurück in Sucre sind wir zu kleinen
Wasserfällen gewandert oder haben uns die Zeit beim Brunchen mit Blick
über die hübsche Stadt vertrieben. Von der eigentlich prophezeiten
Regenzeit war nicht wirklich viel zu spüren. Tagsüber wurde es oft
angenehm T-Shirt-warm, nachts war es mitunter gut, die Skiunterwäsche
aus dem Rucksack zu holen. Die Luft war klar, der Himmel blau und voller
weißer künstlerischer Wolkengebilde.
Um den entspannenden
‚Urlaubs-Anteil‘ meines Bolivienaufenthalts nicht völlig außer Acht zu
lassen und ein paar Reserven für die kommenden Monate aufzutanken, bin
ich im Anschluss an unser Projekt noch für ein paar Tage in die
Salzwüste nach Uyuni gereist. In diesen Tagen hat sich mir die
Landschaft Boliviens noch einmal in all ihrer vielseitigen Schönheit
gezeigt. Dank der kurzfristigen (ich habe erst in Sucre angefangen,
Reisepläne zu schmieden) und guten Organisation Max Steiners und
Hostelling International musste ich mich kaum um etwas selbst kümmern.
Für einen echten Voluntario-Preis wurden sowohl Flota (Bus-)tickets,
Unterkunft als auch Tour und Rückreise nach La Paz für mich organisiert.
Ich bin sehr froh die ‚typische 3-Tage-Uyuni-Jeep-Tour‘ gemacht zu
haben. Gemeinsam mit fünf anderen Reisenden ging es über den berühmten
Salzsee, vorbei an schneebedeckten Vulkanen, zu deren Ausläufern
Flamingos in Lagunen badeten, der eigene Körper wurde am frühen Morgen
in heißen Quellen erwärmt. Lamas weideten an sanften Berghängen und am
Himmel zog ein Condor seine Kreise. Nach drei Tagen ging es dann mit dem
Nachtbus zurück nach La Paz. Wir vier Mädels feierten beim ausgedehnten
Souvenir-Shopping eine kurze Reunión, bevor wir am frühen Morgen auf
unterschiedlichen Wegen zurück nach Deutschland geflogen sind.
Ein Fazit?
Welches Gefühl bleibt am Ende? Ich
vermute, es wird noch eine Weile dauern, bis die Erfahrungen dieser fünf
Wochen verarbeitet sind und ihren Platz im hiesigen Dasein gefunden
haben. Allem voran bin ich jedoch unbeschreiblich dankbar einen Beruf
gewählt zu haben, der mir ein derartiges Erleben möglich macht. Dank der
guten Erfahrung mit dem FCSM mit Sicherheit nicht das letzte Mal!
Anna Kensche