Tak, Ye Eun
Erfahrungsberichte > Archiv
Huancarani, 13. Januar - 07. Februar 2025
Empfohlen wurde mir die Organisation „Förderkreis Clinica Santa Maria“ (FCSM e.V.) von einem Oralchirurgen, dem ich während des Oralchirurgiepraktikums assistieren durfte. Er selbst hatte bereits während seines Studiums gute Erfahrungen mit FCSM gesammelt und legte mir den Einsatz besonders ans Herz. Da ich schon lange auf der Suche nach einer Hilfsorganisation war, die nicht nur Behandlungen anbietet, sondern auch auf Nachhaltigkeit und Qualität setzt, informierte ich mich über die Einsatzmöglichkeit. Ekkehard, der mich bei der gesamten Reiseplanung unterstützte, war eine große Hilfe - mit viel Geduld und Kommunikation konnte ich alles Nötige organisieren. Bereits vor der Abreise bekam ich von Ekkehard zahlreiche Unterlagen, die zur Planung ungemein hilfreich waren. So konnte ich problemlos meine Flüge buchen und stand schließlich am Flughafen in Frankfurt am Main bereit. Bolivien stand schon immer auf meiner Bucket List, insbesondere der Salar de Uyuni. Dennoch war ich vor allem gespannt darauf, was mich dort erwarten würde. Nach einigen wetterbedingten Verspätungen kam ich über Santa Cruz endlich in Cochabamba an, wo mich Henry, der Praxismanager und der jüngste Sohn von Doña Adela, abgeholt hat. Obwohl ich erst gegen Mitternacht in Huancarani ankam, wurde ich von Ekkehard, der auch zur gleichen Zeit dort war, persönlich und mit offenen Armen begrüßt.
Für die Voluntarios gibt es eine gemütliche Unterkunft mit mehreren Schlafzimmern, einer Küche und einem Wohnzimmer. Jeder Volutario hat sein eigenes Zimmer und kann sich jederzeit zurückziehen, wenn man seine Ruhe braucht. Gleichzeitig gehört die Sauberkeit der Unterkunft zu den gemeinsamen Aufgaben: nicht nur das eigene Zimmer, sondern auch Küche, Bad und Wohnbereich werden gemeinsam gepflegt. Es ist also eine temporäre WG. Unter der Woche sorgt Doña Adela, eine sehr liebevolle bolivianische Frau, die für alle Voluntarios wie eine Mutter ist, für das leibliche Wohl. Bereits aus dem letzten Newsletter wusste ich, dass sie an Krebs erkrankt ist. Trotz der Chemotherapie und der damit verbundenen Nebenwirkungen war sie immer fleißig und begrüßte mich jeden Tag mit ihrer warmen Art. Natürlich gab es eine Vertretung, die uns bekochte, aber es war jedes Mal eine Freude, Adela munter und einigermaßen gesund in der Küche anzutreffen und sich mit ihr zu unterhalten. Am Wochenende sind wir freigestellt – entweder sind Ausflüge geplant, oder wir können selbst kreativ werden und mit lokalen Zutaten kochen, die man auf den Märkten in Quillacollo oder Sipe Sipe kaufen konnte. Achtung: Wenn man hier nach Preisen fragt, nennt der Verkäufer nie den Stückpreis. Stattdessen muss man sagen, welchen Betrag man ausgeben möchte, und bekommt dann die entsprechende Menge. So kauft man beispielsweise Bananen für 5 Bolivianos (50 Cent) und lässt sich überraschen, wie viele man dafür erhält. Ich war begeistert, wieviele Papayas es auf dem Markt gab (ca. 1€ pro Stück), und wollte nur noch Papayas kaufen. Henry gab uns auch Empfehlungen für lokale Restaurants. Zum Beispiel waren wir an einem Samstagvormittag in einem Fischlokal essen. Es war das Lieblingsrestaurant von Adela, zu dem man bereits vormittags fahren musste, um überhaupt noch Fisch zu bekommen. Dass Bolivien keinen direkten Zugang zum Meer hat, war dabei schnell vergessen, denn der frisch gegrillte Fisch war echt ein Genuss.


Die Sprechstunden vom Consultorio ähneln denen einer normalen Zahnarztpraxis in Deutschland. Hier beginnt die Behandlung montags erst nachmittags, sodass vormittags genug Zeit bleibt, Instrumente zu sortieren und die Behandlungsräume vorzubereiten. Von Dienstag bis Freitag wird von 8:30-12 Uhr und 13-17 Uhr behandelt. Früher waren zwei Stunden für die Mittagspause gesetzt, seit Kurzem hat man eine Stunde Mittagspause, dafür früher „Feierabend“. Das Consultorio ist für eine Hilfsorganisation sehr gut ausgestattet, vor allem durch die Möglichkeit des Röntgens. In Deutschland ist es zur Diagnostik und Planung selbstverständlich, aber in vielen anderen Ländern ist es ein echter Luxus. Die analogen Röntgenbilder werden vor Ort mit Chemikalien entwickelt - eine spannende Erfahrung, da ich das System zwar kannte, es aber noch nie selbst genutzt hatte. Die Handhabung war jedoch erstaunlich einfach. So konnten wir beispielsweise eine Messaufnahme anfertigen, wenn die elektrische Längenbestimmung nicht ausreichte, oder eine Abschlussaufnahme nach einer erfolgreichen Wurzelkanalbehandlung, um die korrekte Füllungstiefe zu überprüfen. Die Patientenaufnahme in Huancarani funktioniert nach dem „first come, first serve“-Prinzip: Die Patienten, die aus verschiedenen Orten wie Sipe Sipe, Vinto oder sogar Cochabamba anreisen, werden kurz vor der Sprechstunde in eine Warteliste eingetragen. Die Patientenzahl schwankt täglich. Anfangs dachte ich, das Wetter hätte Einfluss darauf, aber selbst bei schlechtem Wetter hatten wir oft über 30 Patienten an einem Tag. Auch der mehrtägige Streik der Trufi-Fahrer hielt die Patienten nicht davon ab, zur Behandlung zu kommen. Im Durchschnitt behandelten wir etwas 25 Patienten pro Tag. Selbst wenn der Wartebereich überfüllt war und die Wartezeiten unerwartet länger wurden, gab es kaum Beschwerden - stattdessen hörte man oft Lachen aus dem Wartebereich.
Die Behandlung erfolgt nach einem strukturierten Ablauf: Liegt kein aktueller Befund vor, wiird zunächst eine gründliche Untersuchung durchgeführt. Anschließend werden akute Beschwerden besprochen und ein Behandlungsplan erstellt. Nach der Aufklärung über die Maßnahmen erfolgt dann die eigentliche Behandlung - eine Füllungstherapie oder endodontische Behandlungen, eine Extraktion oder prothetische Maßnahmen.
Ein besonderes Highlight war für mich, dass ich während meines Einsatzes mit dem Zahntechnikermeister Werner zusammenarbeiten durfte. Einerseits waren viele Patienten froh über seine Arbeiten mit Teil- und Totalprothesen, andererseits durfte ich außerhalb der Universität mehr von prothetischen Arbeiten lernen. Jeden Tag kam mindestens ein Patient mit dem Wusch nach einer „Placa“ und ich freute mich, meinen Anteil zu deren Zufriedenheit beitzuragen. Neben Werner war auch Ralf in Huancarani, der mir viele Tipps und Tricks in der Oralchirurgie verriet. Da ich ausschließlich unter Aufsicht behandeln durfte, hatte ich jeden Tag einen Chirurgie-Intensivkurs mit Ralf. So hatte ich nach vier Wochen definitiv weniger Angst vor Zahnextraktionen. In meiner zweiten Arbeitswoche kam auch Holger ins Team, der mit seiner guten Laune frischen Schwung brachte. Durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Zahnärzten konnte ich in kurzer Zeit unglaublich viel lernen und wertvolle Praxiserfahrungen sammeln.


Auch meine Spanischkenntnisse haben sich durch den Einsatz enorm verbessert. Zwar versuchte ich vorab ein Jahr lang mit Duolingo Spanisch zu lernen, aber mein Spanisch reichte anfangs nicht für Behandlungsaufklärungen aus. Zum Glück stellte FCSM ein kleines Spanischlexikon für Zahnbehandlungen zur Verfügung, was meine Kommunikation mit Patienten etwas erleichtert hat. Zusätzlich bot Thika, die Ehefrau von Ronald, den Voluntarios Spanischunterricht an - ein Angebot, das ich sofort annahm. Da mehrere Voluntarios ebenfalls Interesse hatten, entschieden wir uns für Gruppenunterricht und trafen uns zweimal pro Woche nach der Arbeit. Thika ist eine fantastische Lehrerin, die mit viel Geduld und Erklärungen half, die Sprache zu erlernen. Das Lernen in einem direkten Praxisbezug machte großen Spaß, und so habe ich mir nun das Ziel gesetzt, die Spanisch-B1-Prüfung abzulegen – als Vorbereitung für meinen nächsten Einsatz!
Eine besondere Überraschung war, dass während meines Aufenthalts mehrere Vorstandsmitglieder von FCSM gleichzeitig in Huancarani waren – eine Seltenheit! Dadurch konnte ich noch mehr über die Organisation, ihre Geschichte und ihre Vision erfahren, was meine Begeisterung für FCSM weiter verstärkte. Neben der fachlichen Erfahrung nehme ich auch viele persönliche Eindrücke mit: Demut, Fürsorge und Teamgeist. Besonders schön fand ich es, wie Menschen unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen Persönlichkeiten in kurzer Zeit zu einem eingespielten Team wurden. Diese Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel schweißt zusammen. FCSM legt großen Wert auf eine harmonische Gruppe, und der Vorstand hat stets ein offenes Ohr für die Voluntarios.
Nach dem Einsatz nutzte ich die Gelegenheit, Bolivien weiter zu erkunden. Da ich mich aufgrund meines vorherigen Aufenthalts in Korea nicht im Voraus um die Urlaubsplanung kümmern konnte, organisierte ich alles erst in Huancarani – was sich als Vorteil herausstellte. Die erfahrenen Voluntarios, die bereits mehrfach in Bolivien gewesen waren, gaben mir wertvolle Tipps. Innerhalb weniger Tage stellte ich eine zweiwöchige Reise zusammen: La Paz, Uyuni, Sucre und Santa Cruz. Während Santa Cruz für mich persönlich weniger spannend war, begeisterten mich die anderen Städte umso mehr. Sucre wurde schnell zu meinem Favoriten und beim nächsten Mal würde ich definitiv mehr Zeit dort verbringen. Besonders beeindruckend waren die Free Walking Tours, die wir in jeder Stadt buchten. Sie vermittelten nicht nur spannende historische Hintergründe, sondern halfen mir auch, Land und Leute besser zu verstehen. Wer – so wie ich – wenig über die bolivianische Geschichte weiß, dem kann ich diese Touren nur ans Herz legen. Für zukünftige Voluntarios habe ich eine Google-Maps-Liste mit Restaurants, Cafés, Hostels und Sehenswürdigkeiten in den genannten Städten zusammengestellt: https:/maps.app.goo.glmHkTc3xLieYRu9CX6.
Mein Fazit: Der Einsatz bei FCSM war eine der prägendsten Erfahrungen meines Lebens – fachlich, sprachlich und menschlich. Ich freue mich schon auf meinen nächsten Einsatz!
Ye Eun Tak (oder kurz: Jen)
