Adler, Herbert 2020 - FCSM-WEB-Seite

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Adler, Herbert 2020

Erfahrungsberichte > Archiv
Huancarani  1.3. - 15.3.2020
Mein Einsatz in der Clinica Dental Huancarani im März 2020 war der inzwischen vierte Aufenthalt, der für mindestens 5 Wochen geplant war, aber leider schon nach 2 Wochen zu Ende ging. Die früheren Erfahrungsberichte sind noch auf der Webseite des FCSM eingestellt.
Mit den Flügen Stuttgart-Paris-Madrid-Santa Cruz-Cochabamba hat alles prima und völlig ohne Stress geklappt. Der Voluntaria Alex (DH), die sogar im selben Flieger saß – ohne uns zu kennen - ist der Koffer in Santa Cruz nicht rechtzeitig verladen worden, sodass wir mit dem Taxifahrer, José, der meist für den FCSM fährt, noch auf die nächste Maschine gewartet haben. 1,5 Stunden später war ihr Koffer dann doch auf dem Band.
Wie immer wurden wir ganz herzlich von Doña Adela und ihrem Sohn begrüßt. Die Anlage ums Haus herum ist wieder um einiges schöner geworden, vor dem Consultorio blühen Rosen, auf der gegenüberliegenden Seite sind zahlreiche Limonenbäumchen gepflanzt worden, die auch schon Früchte trugen und der gesamte Eingangsbereich ist jetzt komplett mit Platten und Rasengittersteinen belegt. Im großen Gewächshaus hinten im Garten hat Adela sorgfältig lange Reihen Bio-Salate und -Gemüse angebaut, hinter ihrer Küche wachsen meterhohe Maispflanzen, deren Kolben mit den weißen Körnern („choclo“) schon fast erntereif waren. Die zwei täglichen warmen Mahlzeiten, die die gute Seele des Hauses für uns kocht, sind schmackhaft, gesund und abwechslungsreich.
Ebenso herzlich wie von Adela wurden wir auch von Werner (ZT und Hobbykoch) und der Jung-ZÄ Charlotte begrüßt, die dort bereits schon länger gearbeitet hatten. An diesem Ankunftstag, dem Samstag, hat Werner für uns und ein tolles Mittagessen gekocht und wir sind danach zu dritt zum Einkaufen (u. a. wegen einer Entel-Telefonkarte) nach Quillacollo gefahren.
In der ersten Woche arbeitete ich mit der Jungzahnärztin Charlotte und der DH Alexandra zusammen, ergänzt durch den erfahrenen Zahntechniker Werner, der die Stellung noch bis Ende März hielt. In der zweiten Woche stieß noch Student Raphael nach seinem Sprachkurs zu uns dazu. Wir waren ein harmonisches Team, haben uns sehr gut verstanden und wunderbare Abende mit Spielen und netter fachlicher und privater Unterhaltung bei vino tinto genossen.
Für das kommende Wochenende waren wir alle, wie im vorigen Jahr, von Ekkehard nach Sucre eingeladen. Dieses Mal haben wir auch Doña Adela mitgenommen. Dort in der alten Hauptstadt Sucre, wo das Team von „Bolivia movil“ ihr Basislager hat, kamen wir nach einer knapp 7-stündigen Fahrt in einem der komfortablen „Cama-Busse“ (Schlafbusse) am Samstag in aller Frühe an und wurden von Ekkehard in Empfang genommen. Ein erstes Getränk, eine Tasse Kaffee oder einen warmen Becher Apí nahmen wir in einer kleinen Garagen-Bar gleich neben dem Terminal zu uns in der Nähe unseres Hotels „Corona Real“ (es wird wohl auch im Jahr 2020 nicht umbenannt werden). An diesem Wochenende lernten wir auch die Voluntarios von Bolivia movil kennen, die mit einer mobilen Behandlungseinheit in Schulen in Sucre und Umgebung ab Montag unterwegs sind. Mit Ihnen haben wir die meiste Zeit des Samstags verbracht, lernten die sehenswerte historische, schachbrettartige, weiße Altstadt im Kolonialstil kennen, bummelten durch einzelne andine Souvenirläden, sahen die quirlige Markthalle, wo wir an den Obstständen frisch gemixte exotische Fruchtsäfte tranken, je nach persönlichem Gusto aus Mango, Banane, Maracuya, Chirimoya, Mora, Tumbo oder Papaya, stiegen auf zu dem Aussichtspunkt, dem „Mirador“, lauschten den Musikern auf der Plaza Anzures vor dem Kloster Convento la Recoleta.
Ein Muss ist das dortige „Museo de Arte Indigena“ mit kostbaren, z. T. archäologischen Exponaten und Textilien aus der frühen Inkazeit, wo man sogar einer Weberin bei der Herstellung von kunstvollen, mit alten Motiven gewebten Stoffen zusehen konnte. Adela kannte die Techniken noch von ihrer Mutter und konnte mit ihr gut fachsimpeln. Der Tag klang aus mit einem gemeinsamen Abendessen in einem renommierten Steak-Restaurant.
Mit Alex, Adela, Werner und Raphael brachen wir am Sonntag nach der 60 km entfernten Stadt Tarabuco auf, wo jeden Sonntag ein großer Markt stattfindet und man noch einige Indigenas in ihrer speziellen traditionellen Tracht zu sehen bekommt mit meist roten oder schwarzen Ponchos und eigenwilligen, helmartigen Kopfbedeckungen („manteras“).
Die zweite Woche ging wie gewohnt weiter mit Füllungen, Extraktionen und Placas als Folge von starkem Zuckergenuss (besonders bei Kindern) und mangelnder Zahnpflege, wie in meinen früheren Berichten und auch von zahlreichen anderen Voluntarios schon beschrieben. Das ist für mich bolivianischer Praxisalltag, auf den ich hier nicht weiter eingehen möchte.
Sehr angenehm war die Assistenz durch die "doctoritas“, wie sie liebevoll von einigen Patienten genannt wurden, Charlotte und Alex. Charlotte hat neben konservierenden Behandlungen zum Teil auch schwierige Extraktionen gut gemeistert. Alex hat als DH nicht nur assistiert, sondern in der „Sala de Limpieza“ nebenan ganz selbständig und souverän Zahnreinigungen und Prophylaxemaßnahmen durchgeführt, während Raphael in der zweiten Woche mir beim Behandeln geschickt zur Hand ging. Es spricht sich schnell herum, wenn ein Zahntechniker in der Praxis arbeitet und entsprechend steigt die Nachfrage nach "Placas" rasch an, jedoch sollten die Terminierung der Placa-Behandlungen in enger Absprache mit dem Zahntechniker erfolgen, um die Prothesen zeitnah und nach Möglichkeit noch vor Abreise des Technikers einzusetzen.
Aber etwas war anders in dieser Zeit. In den Fernsehnachrichten beim Abendessen hörten wir von weltweit steigenden Corona-Infektionszahlen, Bolivien war aber überhaupt noch nicht betroffen. Tage später wurde in La Paz „el primer caso determinado en Bolivia“ (der erste bestätigte Fall) gemeldet. Wir haben noch ein wenig gelächelt, als die Regierung im Fernsehen in einer Szene mit einem Rettungswagen und zwei plastikvermummten Gestalten daneben den unkritischen Zuschauern zeigen wollte, dass das bolivianische Gesundheitswesen für eine Infektionswelle gut gerüstet sei. Wir haben noch für uns in dem dünn besiedelten Land statistische Wahrscheinlichkeiten abgeschätzt, wann und ob überhaupt so jemand aus La Paz, der Hauptstadt weit im Norden, in Huancarani an der „Parada Cuatro“ aussteigt und die geschotterte, staubige Dorfstraße entlang sich zu uns in die Praxis verirrt...
Am Ende der zweiten Woche hieß es dann allerdings, alle Direktflüge von Bolivien nach Europa seien ab sofort storniert worden und der Flughafen Madrid sei gesperrt. In Buenos Aires und Madrid war es allerdings nur verboten, vom Flughafen in die Stadt hinaus und umgekehrt hinein zu gehen. So konnten Alex und ich noch für den Sonntag unsere Rückflüge über Santa Cruz, Buenos Aires und Madrid nach Frankfurt (statt Stuttgart) neu buchen. Im Prinzip galt in diesen Tagen noch, dass das Infektionsrisiko in Südamerika verglichen mit Europa noch äußerst gering war. Dennoch war es für uns im Nachhinein die einzig richtige Entscheidung, auch wenn wir mit einem unguten Gefühl unsere hilfesuchenden Patienten im Stich gelassen haben.
So waren für mich diese beiden Wochen zahnärztlichen Hilfseinsatzes wieder sehr interessant und erlebnisreich, mit netter fachlicher und privater Kommunikation der Voluntarios untereinander und dem befriedigenden Gefühl, etwas Gutes für die ärmeren aber sehr dankbaren Patienten getan zu haben. Alle in unserem Team, die ich sehr schätze, sind weltoffen, hilfsbereit und sozial eingestellt und äußerten sich klar, dass sie in der Zukunft wiederkommen würden.
Herbert Adler
 
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